Die Jahre 19 - 28 (1976 - 1985)
Diese
Jahre waren die schwierigsten eines wiederständig träumenden jungen
Mannes, der kaum noch den Zipfeln des Mutterrocks entkommen war. Dem
Sohn eines mittlerweile an die Spitze der deutschen Industrie
aufgestiegenen Vaters wurde materiell ganz selbstverständlich alles
nachgetragen, was ein junger Mensch sich nur wünschen durfte. Eigenes
Auto, Urlaub zuhauf, eine lichte Dachgeschosswohnung mitten in der City.
Alles was im Gegenzug erwartet wurde, war das erfolgreiche Absolvieren
des Studiums. Die Sehnsüchte des Sohnes waren gänzlich anders
ausgerichtet. Musik, Streiftouren durch das bunte Nachtleben, Kino. Mehr
brauchte es nicht.
Wäre da nicht das
ständige Bohren eines schlechten Gewissens spürbar gewesen, das die
Innereien des Studiosus folterte. Ein stetes flaues Gefühl in der
Magengegend. Der Bauch erinnerte sich gut an frühe Erniedrigungen des
Kindes. Mit Stolz versuchte er diesem Gefühl zu begegnen. Über jedes Maß
hinaus. Worauf gegründet? Der scheinbare Stolz war nichts als Hochmut.
Diese
Spannung nötigte den Adoleszenten. Eine schiefe Bahn bugsierte den
Prokrastineur unaufhaltsam in seelische Nöte. Anspruch und Schein.
Dunkelschwarz und blendendweiß. Das Nichtigkeitsgefühl bald ein Riese.
Der Flirt mit dem Suizid als Ausweg aus dem Elend wie ein wohltuender
Schauer.
Und erneut ein prägendes Ereignis.
Angesichts eines drohenden Abgrundes beschloss der deprimierte
Sprösslung eine Flucht nach vorn. Es sollte endlich eine Schmach aus
frühester Kindheit gerächt werden, als mein Bruder und ich dem Vater mit
einem augenblicklichen Auszug drohten. Die Sachen in zwei kleine
Taschen verstaut. Worauf dieser gütig lächelnd die Wohnungstür zum
kalten und dunklen Treppenhaus öffnete. So weit durfte es nicht mehr
kommen. Also besorgte der Verzweifelte Rucksack und guten Schlafsack
sowie alles mögliche Notzubehör. Alles, was halt so in einen Rucksack
passt. Das Zugticket nach Athen sollte den Zugang zur großen Welt
endlich weit aufsperren. Für die entsetzte Mutter, die wenige Stunden
später vom Aufbruch des Unseligen ins Unbekannte erfuhr, brach die
wohlgeordnete Welt zusammen.
1. Exkurs. Das Blau von Unendlichkeit
Vermutlich
die schönste, sorgloseste Zeit im Leben eines Träumers. Das Abenteuer.
Sex, Drugs and Rock´n´Roll. Unter ewig blauem Himmel auf ägäischer See.
Der Skipper des Einmasters mit dem wunderschönen Namen seiner Tochter Serena
ein langhaariger, durchgeknallter Hippie aus San Francisco mit
afganischen Wurzeln und rötlichem Rauschebart, der die damals reiche
Popkultur auf der Insel Rhodos durchaus bereicherte. Auf dem Schiff
gingen alle möglichen Größen aus Film- und Musikszene der damaligen Zeit
rauf und runter. Oder schlossen sich einer der vielen Ausfahrten
zwischen Dodekanes und Kleinasien kuzerhand an. Ich kam nicht zu kurz
und war unerschrocken Teil dieser bunten Welt. All dies führte zu
denkwürdigen Konzertauftritten in der kleinen Bar eines pittoresken
Dorfes im Süden der Insel. Mehr als fünf oder sechs Stücke gab unser
rasch am Strand eingeübtes Repertoire nicht her. Die Verzückung des
feiernden Publikums jedoch überaus stimulierend.
Zum
Ausgang des griechischen Sommers, also im späten Oktober war die
Überfahrt in die Karibik auf einem anderen Segelschif bereits fest
vereinbart, als dem jungen Seemann die Liebe begegnete. Worauf sich
dieser am kurzsichtigen Ziel und in Erfüllung seiner Träume wähnte.
Zurück also nach Wien ins gemütliche Nest.
Trotz aller
ermsthaften Bemühungen sich in ein reguläres Studienleben
einzugliedern, fand die rastlose Zeit kein Ende. Schließlich mussten die
Eltern all ihre Pläne, dem Sohn zu einem vorzeigbaren und daher
wohlgeratenen Dasein zu verhelfen, fahren lassen. Rückblickend bin ich
meinen Eltern weiterhin zutiefst dankbar, dass sie nicht naheliegend
sämtliche Geldhähne zuudrehten, gar sich von mir entäuscht abwendeten.
Stattdessen ermöglichten sie mir eine Renaissance des unbeschwerten
Lebens an griechischen Gestaden. Ein im Selbstbau verwandelter VW-Bus
und eine paar Windsurfbretter reichten damals aus um eine Windsurfschule
auf einer Insel im ionischen Meer zu gründen. Lizenzen? Steuern oder
Abgaben? Behördliche Einschränkungen? Gab es zur dieser Zeit für
Aussteiger nicht in Griechenland. Menschen dieser Prägung waren heiter
wohl geduldet und verschont von jeder Art der Regulation. Das berühmte
Klienteldenken dieses lebensfreudigen Volkes, das viele Jahre später die
Europapolitik in Verzweiflung stürzen würde, war erfolgreich über viele
Generationen etabliert.
Es kam wie es kommen
musste. Die Einnahmen der sehr leger geführten Unternehmung am Strand
dienten dem Tagesbedarf und ließen kaum etwas übrig für den
heraufziehenden Winter. Kurzentschlossen zog es den Jüngling in das
Berlin der Vorwendezeit.
Wieder ein prägendes
zufälliges Ereignis. Verabredet mit einem Jugendfreund im Café der
Architekturfakultät war ich zu früh dran. Und setzte mich unvermutet in
eine Vorlesung. Architekturgeschichte. Die Vorlesung war noch nicht zu
Ende, da war bereits fest im Blick: das Versprechen eines Studiums, das
den jungen Mann endlich fesseln würde. Der heitere Orient traf hier
endlich fruchtbar auf einen ernsten Okzident. Hier trafen fast alle
Disziplinen universitärer Bildung aufeinander. Ingenierwesen,
Geistesgeschichte, Soziologie, politisches Geschehen, Wirtschaft, Kunst.
Endlich universitär denken lernen.
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