Pilgerweg Linz - Tragöß Juni 2025
*Ist weiter in Arbeit*
Reisetag 4 in Bearbeitung
Was verleitet mich, drei Wochen lang zu Fuß durch unser schönes Österreich zu wandern? Auf eine bestimmte Art und Weise wird es zu meinem Pilgerweg werden. Dabei will ich nachspüren, was die Leute früher uns voraus hatten. Wir sollten doch denken, so wie sie gelebt haben, sind sie uns längst in Vielem uns nach: an Geschwindigkeit, an Möglichkeiten, an Luxus, Bequemlichkeit und Laissez-faire.
Andererseits besteht diese Aufzählung lediglich aus Begriffen bzw Vermutungen, die wir aufgrund differenter Erfahrungen mit unseren Altvorderen nie teilen konnten, weshalb sich jeglicher Vergleich zwar quantitativ messen ließe, deren Konsequenzen auf unser Sein jedoch nicht.
Ich wollte es noch einmal versuchen — bevor es mein Alter verunmöglicht. Denn anstrengend und herausfordernd wird es!
Über das Zusammenstellen der Dinge, auf die für ein solches Unterfangen nicht verzichtet werden sollte, würde ein eigener Blog notwendig sein. Hier einstweilen so viel: Zusammen — mit Gepäck und Wanderstab — bringen wir stolze 103kg auf die Waage.
Wien - Altenfelden
Vorbereitung
Was alles werde ich benötigen? Jedes nicht benötigte Teil bringt Gewicht, das mitgetragen werden muss. Was aber sind meine Nöte? Als man früher Maulesel bepackt, Pferd und Ochs vor den Karren gespannt hat, würden diese etwa vorab gefragt, wie viel Gewicht es sein dürfe? Sie, folgten treu ihrem Schicksal und trugen ihr Kreuz; sollte ich es anders halten? Ohne viel Überlegung gepackt ... und schon geht's los!
Zunächst bequem mit der Bahn von Wien-Penzing nach Linz und von dort mit dem Bus hinauf ins Altmühltal nach Altenfelden.
1. Tag, 12. Juni,
Linz/Ebelsberg - St. Florian
Die erste Nacht bei der Familie von Max, einem Cousin väterlicherseits, verbringe ich noch bequem in einem feinen Bauwagen, der dort von Max liebevoll eingerichtet wurde. Bequemes Bett, Tisch, Stuhl und Ofenheizung.
Bereits am Abend noch übergibt er mir in seiner Schmiede meinen Wanderstab, der mich begleiten und den Weg weisen wird.
Weiteres dazu:
Im ersten Morgengrauen wache ich auf. Voller freudiger Erwartung bei prächtigem Wetter setze ich mich in Garten. Die Sonne erhebt sich ins Firmament. Wir frühstücken gemeinsam in der Küche seines ehrwürdig-alten Hofes.
Wir bringen noch zum Fuß gemeinsam seine jüngste Tochter Juna zum Kindergarten unweit vom Hof in Altenfelden und fahren dann Ottensheim an der Donau. Mit dem Donaubus geht es weiter. Max persönlich steuert die kleine Fähre und erzählt vom Dasein, Aufgaben und Gefahren eines Donauschiffers in heutiger Zeit.
Nach ca. 20min Fahrt mit der Strömung landen wir in Linz an der Nibelungenbrücke. Dort verabschieden wir uns herzlich voneinander. Max wird bereits erwartet und nimmt Fahrgäste auf.
Ich selbst steige in die Straßenbahn Linie 2, die mich an den Startpunkt meiner Wanderung bringen wird. Linz-Ebelsberg.
Noch ist alles ungewohnt. Das Schultern mit Schwung des schweren Rucksacks will geübt sein. Bald würde der Schwung präzise gelingen! Auch mit dem Gehen mit Stock und Rucksack wird noch gefremdelt. Aber was soll's? Gleich hinter Linz wird's ländlich, Sanfte Hügel, weiter Felder. Meist oben auf den Hügeln mit guter Ausschnitt liegt der typische Vierkanthof dieser Gegend
An jeder Wegkreuzung und oft auch zwischendurch am Wegesrand ein Marterl mit Blumenschmuck und Bankerl zur Rast
So geht es dahin. Nach St. Florian ist's nicht weit. Mein Weg führt an Gutshöfen vorbei, mit meist großen, für diese Höfe typischen Tore.
Und schon kommen die hohen Doppeltürme der Stiftskirche St. Florian in meinen Blick.
Anton Bruckner hat nach den Mühen zur Vertonung seiner Musik hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Für mich hat's noch Zeit: deshalb darf ich ins nächste Wirtshaus. Zum goldenen Löwen. Ein gutes Mittagsmenü bei ein, zwei Bier; das würde auf meinem Weg zur Regel werden ...
Es geht weiter, St. Florian im Rücken noch einige Kilometer zum ersten Schlafplatz. Auf offenem Felde fühlte ich mich nicht wohl, jedermanns Blicken ausgesetzt. Deshalb hinein in ein kleines Wäldchen unweit von einem Weingut.
Hier die Graphik des ersten Tages: zurückgelegte Wegstrecke, Höhenmeter, reine Gehzeit ... wobei anzumerken ist, dass sich die Gehzeit aus verschiedenen Gründen als eine rein rechnerische Größe erweisen wird. Später dazu mehr.
2. Tag, 13. Juni,
Gasthof Weinbauer - Steyr (Ternberg)
Die erste Nacht gut verbracht, ich habe viel Zeit, nichts drängt mich vorab. Von Tag zu Tag wird sich das Pensum ganz natürlich erhöhen, dessen bin ich mir sicher. Das Zusammenpacken, das Verstauen der benötigten und genutzten Sachen, das Festtüren am Rucksack wird eine tägliche, mehrfache Übung, die nicht wenig Zeit einfordert.
Noch gehe ich weitestgehend auf asphaltierten Wegen, meine Informationen zum Weg beziehe ich aus Google Maps, was sich bald als unzureichend erweisen wird.
Typologische Wegemarken:
Es wird heiß; Temperaturen um die 30° im Schatten. Noch wandere ich der Logik eines Navigationssystems, deren KI die meist benutzten Wege a l l e r Verkehrsteilnehmer aufzeichnet und dem Nutzer zur Verfügung stellt. Die größte Gruppe dabei sicher die A u t o -Mobilisten! Daher verlaufen die Wege ganz a u t o -matisch entlang deren Fahrtwege. Die A u t o - nomie (eigen - Gesetzlichkeit), eigentlich das höchste Gut des Wanderers wird so gesehen auf dieser Plattform unterminiert, beziehungsweise einer anderen A u t o -nomie untergeordnet: der des A u t o s !
Es sollte weitere Tage dauern, bis ich die Logik der Systemgrenzen ausreichend bedenken würde; die mich dann endgültig in die 'Logik der Wanderwege' wechseln lassen würde. Und diese Logik trägt einen Namen: Bergfex, eine kostenpflichtige App, die speziell Wanderrouten und Wetterbedingungen darstellt und benötigte Daten dem Nutzer (logisch) zugrunde legt. Alle Daten, in denen die von mir durchwanderten Wege dargestellt sind, werden aus dem Datenpool dieser App entnommen
Wie bereits angedeutet: Der Schatten von Bäumen wurde in den vergangenen Jahrzehnten dem Straßenbau geopfert — Klimaanlagen in Fahrzeugen daher logische Konsequenz —, dem Fußgänger, der Schatten sucht, somit entzogen! Als peregrinus bin ich deshalb Willens auszuweichen.
Im Ort Dietach verlasse ich die vorgeschlagene Route und entscheide mich für den etwas weiteren Weg nach Steyr, den Weg am Ufer des gleihnamigen Flusses, wobei die nächsten Kilometer Uferweg erst noch entlang der Enns führen. Ich gehe in Schatten der Bäume und des kühlenden Flusses bis zum Boigerstadl, einem alten Wirtshaus im Süden Steyrs.
Noch habe ich keinen Schlafplatz für die Nacht; ich suche ihn außerhalb der Stadt in eher ländlichem Raum. Also werde ich — weil sich der Tag bereits seinem Ende zuneigt —, mit dem Zug einige Stationen entlang der Enns zurücklegen. Ich nehme den Zug vom Bahnhof Garsten Richtung Trittenbach/Enns um 19:16h.
Während der Zugfahrt beobachte ich die Topographie. Die Berge sollten nicht zu Nahe der Ufer rücken, denn dann würde das Terrain zu steil für eine ebene Schlafstelle; in Ternberg schließlich scheinen meine Vorgaben erfüllt. Ich verlasse den Zug und gehe die letzte Wegstrecke des Tages:
3. Tag, 14. Juni,
Steyr - Aschach an der Steyr
Stadtspaziergang / Wanderung entlang der Steyrbahn / Restaurant Kim
Es war eine klamme Nacht; am Rand einer vor kurzem frisch gemähten Wiese, in unmittelbarer Nähe zu einem friedlich murmelden Nach. Die Erfahrung wird mich lehren: nicht der beste Platz! Denn kaum fällt die Nacht unter freiem Sternenhimmel herein, schlägt Feuchtigkeit über alle Flächen in der Nähe von kühlendem Wasser nieder. Das Grün des Waldes dämmt die Abstrahlung und Wärmeverlust an den klaren Himmel, ebenso wie es die Aufheizung unter der brennenden Sonne des Tages verhindert. Und trockenes Laub als Unterlage unter meiner "Bettstatt" bringt etwas Behaglichkeit in die Kargheit des Wanderlebens!
Bereits beim Einschlafen hatte ich mich dazu entschieden, in den Boigerstadl zurückzukehren, nicht weil das Essen dort so exquisite gewesen wäre; sondern dort hatte ich meine altgediente Trinkflasche unter dem Tisch stehen lassen. Altgedient, denn sie löschte bereits meinen Durst in den Zeiten, seit ich alsStudent mit dem Fahrrad viele Strecken durchmessen hatte, durch Deutschland, in Österreich und seine Alpenpässe, hinunter nach Rom, Neapel und Amalfi, später dann quer durch Israel und legendär mit meinem Freund Gerhard und dessen Bruder Holger Chur, David über den Splügelpass bis hinunter an den Comersee und zurück an einem länderen Wochende; unterbrochen von einem Bermarathon über 35km ... Verrückte Zeiten, schöne Erinnerungen. Gerhard sei Dank! Unvergesslich, wie Du mit gebrochener Trittscheibe die letzten Kilometer den Splügelpass zu Fuß, das bepackte Fahrrad an der Hand locker hinaufliefst ...
Erste Tagesetappe:
Erfüllt von vielen schönen Erinnerungen meiner Zeit packe ich meine 'Siebensachen' und schleppe sie an die andere Seite der Wiese, wo die Sonne die Kühle der Nacht bald wieder aus meinem Körper und seiner Bekleidung vertreiben würde. Dort nehme ich meinen Morgenkaffee, meinen griechischen καφεδάκι γλυκό ein und stelle meine heutige Route zusammen.
Erneut ein strahlender Tag! Wolkenloser Himmel, das helle Läuten der Kuhglocken von den Weiden, das Morgenläuten der Kirchenglocken, das Rauschen und Flüsstern der vielen Bäche, das die Landschaft erzählt; Herz, was willst Du mehr.
Ich wandere guten Mutes und schnellen Schrittes zum Bahnhof Dürnbach/Enns. Dort angekommen, vergewissert mich meine ÖBB-App, dass ich fast noch eine Stunde Zeit habe, bis der Zug mich nach Steyr zurückbringen würde. Es ist zwar erst kurz nach 10 Uhr morgens, aber der Durst bereits groß. Gleich gegenüber im Wirtshaus zur Gerti wird mir Wunsch nach einem ersten Bier freundlich mit einem "Wo kommst her? Wo wüüsd hie?" erfüllt.
Nach der Erfrischung nehme ich den Zug 10:57 Uhr zurück Richtung Garsten.
Zweite Tagesetappe:
Vom Bahnhof Garsten ist es kurzer Marsch zur Trinkflasche im Boigerstadl . Ich hatte bereits von der "Gerti" dort angerufen: meine Trinkflasche erwarte ihren Besitzer! Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein sein, dass ich den Weg zurück einschlage, weil ich etwas verloren, vergessen oder vermissen würde, wie sich bereits am nächsten Morgen herausstellen wird. Es sind dies sehr lehrreiche Erfahrungen!
Vom Bigerstadl aber geht's, erneut den Ennsuferweg zurück nach Steyr ...
... mit einer süßen Belohnung!
Ein Café, am Neuen Tor gelegen, das in früheren Zeiten über eine alte Brücke die Enns überspannte und in die Stadt führte und heute über mächtige, in die alten Mauern getriebene Balken über den Fluss auskragt und ob 'dieser Übertreibung' einen umso herrlicheren Blick auf die Flusslanschaft bietet.
Beim freundlichen Wirt darf ich nach Kaffe, Kuchen und belanglosem Plausch Wanderstab und Rucksack lassen und die Stadt Steyr erkunden.
Ich schlendere vom Stadtplatz zum Tabor, dann hinauf zum Burgberg, auf den das barocke Schloss Lambert mit schönem Schlosspark 'hohe Erfrischung' im Schatten seiner Bäume bietet, gelegen auf einem steil aufragenden Felssporn, an dessen Fuß Steyr und Enns zusammenfließen um sich 30km entfernt bei der Stadt Enns schließlich in den weiten Strom der Donau zu ergießen.
Ich erstehe im nahen Einkaufszentrum eine Pinzette, denn einige Zecken haben sich meiner Wanderung inzwischen angeschlossen, die ich mit ihr bewaffnet aus meiner Haut zu ziehen gedenke. Leben siedelt sich an, wo es Platz findet, der Mensch will sich nicht mit allem einverstanden erklären und zieht ihm —selbst den Leben! — den Stachel!
Dritte Tagesetappe:
Das Steyrtal wird an Wochenenden im Sommer von Dampf und Warnsignalen fahrender Lokomotiven erfüllt! Liebhaberei und gleichermaßen regionale wie touristische Traditionspflege, die die Herzen von Jung und Alt erfreut.
Also nehme ich die vielen Empfehlungen, die mir unterwegs zugesteckt werden, ernst, und wähle als weiteren Weg den Weg entlang der alten Bahngeleise, stets in Sichtweite vom glasklaren Wasser der begleitenden Steyr flussaufwärts. Ein schöner Wanderweg, entlang restaurierter Villen und noch älterer Industrieanlagen; denn darin lag damals Ende des 19. Jahrhunderts die Notwendigkeit für den Bau der Bahnstrecke: als Infrastruktur, die Rohstoffe herbei- und Erzeugnisse fortschaffte. Wasserkraft war zum Triebe der Industriemaschinen entlang des Flusses preiswert verfügbar, die Stadt Steyr als ihr Zentrum wirtschaftlich seit langem mit Reichtum und Kultur gesegnet, womit bis heute zu glänzen vermag.Hier sind Industrien und Landschaft zu einer pittureken Einheit verschmolzen, wie man es heute nur noch selten anfinden kann.
Entsprechend wohlgestaltet ist der Weg, den ich gehe, zwischen gut erhaltenen Bauernhöfen, ihrer uralten Tradition verpflichtet, altehrwürdigen Industriehallen als Baudenkmäler ihrer vergangenen Zeit, inmitten einer überaus satten Natur entlang eines sauberen Wassers in Trinkqualität. Welch beispielhafte Symbiose aus alt und neu!
Die Stunden des Weges verlaufen entsprechend gut gelaunt und inspiriert, über Hügel und weite Felder, im Panorama des näherrückenden Kalksandsteingebirges, euphemistisch auch als Totes Gebirge bezeichnet.
Noch befinde ich mich weit unten im Tal, verkürze im weiteren Verlauf aber einen weit mäandernden Flussbogen, indem ich einen direkten Weg einschlage. Bald geht es aber wieder hinunter zum Flusslauf, über eine Brücke nahe Aschach an der Steyr hinüber Richtung meiner heutigen "Verköstigungsstelle", dem in den Internetforen als exzellence Küche beworbenen Restaurant Kim "Steckerlfisch vom Feinsten und ausgewählte exzellente vietnamesische Köstlichkeiten".
Bisweilen unterscheidet sich die Realität von Netz und Alltag, wie ich gleich beim Betreten des Gastgartens erkennen musste.
Das ist aber eine andere Geschichte und wird im weiteren Tagesverlauf ganz allmählich zur Geschichte von Kim
Vierte und letzte Tagesetappe:
Die letzte Etappe führt am rechtsseitigen Ufer stromaufwärts entlang und dient allein der Sich nach einem schönen Schlafplatz möglichst am Ufer des Steyr.
4. Tag, 15. Juni,
Fluss Steyr - Ternberg
Im Tal der Gesetzlosen
Der Schlafplatz war der schönste bis anhin.
Direkt am Ufer der Steyr gelegen, hatte er mich gestern eingeladen zu einem erfrischenden Bad bei allmählich untergehender Sonne und der ersten Gelegenheit alle verschwitzte Kleidung dort zu waschen. Wobei "alle" ist als Übertreibung zu sehen; 3 paar Socken, 2 Unterhosen, 1 Leinenhemd, 1 T-shirt ... mehr ist nicht wirklich notwendig!
Die Nacht verbringe ich — zwischen Abend- und Morgendämmerung, wie auch alle weiteren Nächte meiner Pilgerfahrt —ungestört in weichem Gras inmitten wilder Sträucher in Sicht- bzw. Hörweite der Steyr. Schon im Schlaf werde ich gewahr: es wird am frühen Morgen feucht werden, sobald sich der Tau infolge der Abkühlung der Nacht niederschlagen wird. Das Aufhängen der Kleidung hat keinerlei Trocknung bewirkt. Ich bereite mir ein καφεδάκι ελληνικό γλυκό und packe meine Siebensachen, unterbrochen von ein paar Dehnübungen mithilfe meines blauen Thera-Band, meditiere die Psalmen im laudes des Stundenbuches (so wie ich meist den Tag mit dem komplet dankend beschließe) und sinne nach über Thomas von Aquin und dessen Reflexionen über ordo und veritas — meist dauert das Prozedere über eine Stunde —, schlüpfe in das nasse Hemd, gürte mich mit der Hüfttasche, schultere den Rucksack, greife nach meinem Führer, dem Wanderstab und schreite aus!
Heute aber will mich etwas zurückwerfen; das Handy lässt sich nicht mehr starten! War der Akku komplett leer? Das mitgeführte Billigsolarpanel aus chinesischer Produktion doch keine gute Idee? Das Handy ist alt, der Akku hinüber?
Alle Bemühungen scheitern das Handy abzuschalten. Was ist zu tun? Melitta anzurufen die erste Erfordernis; sie würde sich sofort Sorgen machen, telefonieren wir nicht wie üblich, sobald sie mir ein Zeichen gibt, sie sei wach, was kaum vor sieben Uhr der Fall sein würde. Ich habe also noch mehr als zwei Stunden, bis ich einen freundlichen Zeitgenossen finden würde, der mir sein Handy. Und Ich sollte zurück nach Steyr, falls ich nicht um den Erwerb eines neuen Handys herumkommen würde.
Ich gehe also den gleichen Weg zurück, andernfalls würde ich den rechten Pfad kaum finden ...
"Der HERR ist gut und redlich, *
darum weist er Sünder auf den rechten Weg.
Die Armen leitet er nach seinem Recht, *
die Armen lehrt er seinen Weg.
Alle Pfade des HERRN sind Huld und Treue denen, *
die seinen Bund und seine Zeugnisse wahren,"
schießt es mir unbewusst durch den Kopf. Habe ich diese Verse aus Psalm 103, 8-10, nicht erst gestern gebetet? Ich fühle mich inspiriert; es wird alles seinen guten Lauf haben. Geschehe was wolle!
Kaum auf dem Hochplateau angekommen, das mir jetzt zum 2. Mal den Weg im Steyrbogen verkürzt, hält ein alter, weißer VW-Golf direkt neben mir. Die Scheiben heruntergekurbelt: vier Augen von zwei Ausländern blicken mich freundlich an. "Guten Morgen. Weißt Du, wie wir von hier nach Linz kommen?" Ich muss verneinen und stelle die Gegenfrage, ob sie kein Navigationssystem auf ihre Handys geladen hätten, die sie beide in Händen (deshalb der Name!) hielten. Sie hätten Schwierigkeiten mit der Nutzung. Sie lachen. Ich lache. Ob sie mir einen Gefallen machen könnten? "Steig ein", meint der Eine. Ich erkläre meine Nöte. Der andere feixt: "Ja, ja, die GPS-Ortung ausschalten und dann eine andere Oide schnacken. Und später so tun, als wär das Handy kaputt!" Nicht jede Zote ist originell. Ich lache trotzdem. Der Typ auf dem Beifahrersitz bittet um die Telefonnummer, ruft sie an. Als es zu klingeln beginnt, reicht er sein Handy heraus. Ich informiere Melitta in wenigen Worten und erkläre ihr, dass ich spätestens morgen (heute ist Sonntag) wieder erreichbar sein werde.
Ich bedanke mich, wir lachen uns an, wünschen uns alles Gute und folgen unseren Wegen. Ich hab' vergessen zu erzählen, dass ich auch das Sackerl mit Handschaufel und Toilettenpapier beim Packen vermisst habe. Also suche ich danach einige hundert Meter weiter — Punkt 3 auf der Etappenkarte weiter unten — unter den drei markanten Bäumen am Wegesrand, unter deren Schatten ich mich gestern ausruhen wollte und zufällig neben einem Feld von Walderdbeeren diese Ruhe auch fand, die mich zudem mit ihren einzigartigen Aromen kulinarisch versorgten.
Ich finde das Sackerl nicht, also würde ich es bei meinem Schlafplatz von gestern finden. Morgen früh neues Handy, dann nach Ternberg an die Enns und von dort wieder herüber ins Steyrtal. So ändert sich die Route von Tag zu Tag, von Gegebenheit zu Gegebenheit. C'est la vie ...
Es geht weiter. Es wird heiß unter der Sonne auf blauem Himmel. Deshalb wird es Zeit eine Pause einzulegen um eventuell doch noch Strom vom Solarpanel in den Akku vom Handy zu zwängen und um die gewaschene Kleidung in der Sonne zu trocknen. Beim Gasthaus zum Queng findet sich eine geeignete Stelle. Das Gasthaus selbst scheint aufgegeben (ein weniger geglückter Assimilisationsversuch?), der Rasen allerdings gemäht, das Wochendhaus direkt daneben mit geschlossenen Fensterläden. Ein guter Platz zum Rasten. Ich bereite mich aus, hänge die Wäsche an ein altes, rostiges Gerüst und bereite mir einen weiter καφέ. Es laufen einige Fußgänger unterhalb vorbei, ihre Hunde brav an der lLeine. Sie (Hund und Mensch) blicken kurz erstaunt in meine Richtung, enthalten sich aber jeglichen Kommentars.
Nach ca. 45 Minuten hoffe ich ausreichend Sonnenstrom geerntet zu haben, will das Handy laden; nichts geht. "Doch kaputt", denke ich. Nun ja, ein neues Gerät muss halt her!
Bald befinde ich mich wieder auf dem Weg. Ca. 20min, als sich von Ferne die Museumsbahn durch lautes Pfeiffen ankündigt; tatsächlich! Ein schönes Bild, wie sich der alte Zug unter Dampf und Zischen durch die Lande quält. Kein Wunder, dass früher die Modelleisenbahn des Christkindl unter den Weihnachtsbaum zu legen pflegte ...
Der nächste Halt ist die Strandbar, die gestern Samstag Nachmittag so überlaufen war, dass ich es vorzog vorbeizulaufen. Heute bin ich der erste Gast. Ich treffe den Wirt beim Öffnen des Gastgartens und seiner selbstgebastelten Bude. Ich suche einen dem Lauf der Sonne entsprechenden immer schattigen Platz unter hohen Linden, lade ab, bestelle ein Bier und frage den Wirt, ob ich bei ihm mein Handy aufladen dürfe. Er bringt das Bier und nimmt mein Handy mit.
Der Gastgarten füllt sich. Eine Frau, etwa meines Alters, fragt, ob sie und eine Freundin sich zu mir setzen dürften. ”Selbstverständlich, gerne". Wir kommen ins Gespräch, denn ein vermeintlicher Pilger ist immer ein Anlass, von eigenen Pilgerfahrten zu erzählen. Frauen fragen grundsätzlich zunächst nach dem Gewicht meines auffällig gut gefüllten Rucksacks, die Männer richten den Blick vowiegend auf meinen Wanderstab. Die Eingangsfragen aber lauten: "Von wo nach wohin? Wie viele Kilometer pro Tag? Wie weit insgesamt? Allein? Wo wird übernachtet? Auf welchen Wegen?"
Ich erfahre im Gespräch mit den beiden zweierlei: 1.) dass es ohne Wanderkarten schwierig sei, die schönen Wege zu finden. 2.) dass die Verständigung mit Zeugen Jehovas nicht misslingen muss
*Meine Geschichte mit den Zeugen Jehovas auf einem Pilgerweg wird noch erzählt*
Bevor sich unser Gespräch dem Ende zuneigt, weil der Pilger spürt, dass er weitergeben sollte, daher sein Handy holt und die Siebensachen packt, sollte sich zunächst noch eine weitere Hoffnung erfüllen. Eher aus Verdruss — und zum Ausschluss einer Irrtümlichkeit — über die Notwendigkeit ein neues Handy erstehen zu müssen, halte ich den Startknopf starrköpfig überlang gedrückt: und siehe da, das verloren geglaubte Gerät startet neu! Man sollte nicht alles glauben, was man denkt; und nicht nur Denken, woran man glaubt ... nur so kann es Überraschungen geben; was an sich noch kein Wunder ist.
Erleichtert rufe ich Melitta an; und entwerfe unmittelbar neue Pläne: Ich würde also heute schon einen Unterschlupf suchen müssen - denn meine ‚WetterApp’ zeigt bereits für heute Abend Unwetter an. Da ich zuvor noch mein Kloset —richtigerweise ‚Klo-Set’ — suchen will, sieht die nächste Etappe für mich heute so aus:
Es geht geruhsam über sanfte Hügel an weiten Feldern und dichten Siedlungen vorbei hinein in die Mittagshitze. Aber nach einer Stunde lockt das Gasthaus Wirt am Platzl nicht mehr weit; im Gastgarten finde ich Schatten und einen Tisch direkt vor dem Küchenfenster, worauf das Geklapper von Tellern, das Zischen von Fett in den Pfannen und scharfe Anweisungen einer männlichen Stimme schließen lässt; im Schibboleth einer indischen Sprache, wie unschwer herauszuhören war.
Eine bildhübsche und blutjunge Kellnerin indischer Physiognomie —Aha! ... wäre es meinem Mund fast entkommen — nimmt die Bestellung auf: ein Bier und ein Wiener Schnitzel. Das "Aha" ist insofern verständlich, als dass dort nicht nur Sprache und Mensch indische Kultur repräsentiert, sondern auch die Speisekarte; indem sie je hälftig österreichische und indische Speisen ausweist.
Während ich nun drinnen das Klopfen vom Schnitzel höre, an meinem Bist nippe, habe ich ausreichend Zeit für weitere Beobachtungen. Eine Frau und die 50, in wallenden Gewand, Hose und Bluse in Gelb- und Rottönen, grüßt in meine Richtung und tritt an meinen Nachbartisch, an der drei Einheimische sitzen, wie ihr Schibboleth nahelegt. Aus dem Gespräch entnehme ich, dass es sich um die österreichische Gastwirtin handelt, die ihrem Sohn das Geschäft bereits übergeben hat. Es dauert nicht lange bis auch er sich zu erkennen gibt; der Kellnerin wie aus dem Gesicht geschnitten. "Aha", denke ich mir ein zweites Mal, "nicht nur das Essen, auch die Familie gut durchmischt!
Abermals die Bestätigung, wie sehr das vormals Fremde sich nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land erfolgreich etablieren konnte, wie das Schnitzel beweist. Ein besseres habe ich lange nicht gegessen! Ich will meine Illusionen, dass es sich anders verhalten könnte, wie ich es durch meine Augen sehe, nicht stören. Also verzichte ich neugierig nachzufragen. Es lebe der Respekt, oder die Dezenz, wie es Hugo von Hofmannsthal weit vornehmer ausdrücken würde ...
Wohl gesättigt verlasse ich diesen Ort friedlicher Durchmischung und gehe die wenigen Meter zum Bahnhof Garsten. Dort nehme ich den Zug um 14:50 Uhr nach Ternberg. Nach 16 min Fahrtzeit erreiche ich den Ort und gehe abermals zum Schlafplatz wie zwei Tage zuvor.
*Geschichte von Spatti und Alex, dem Quetschenspieler*
5. Tag, 16. Juni, Ternberg - Steinbach an der Steyr
*Geschichte vom Finden und Verlieren*
6. Tag, 17. Juni, Grünburg - Kirchdorf - Steyrdurchbruch
*Geschichte vom Durchhänger*
7. Tag, 18. Juni, Zimeck - Molln
*Geschichte vom verlorenen Regenschirm*
8. Tag, 19. Juni, Bodinggraben
*Schneckenpest*
9. Tag, 20. Juni, Kalkalpen
*Geschichte von der Wildnis und der Vielfalt*
10. Tag, 21. Juni, Windischgarsten - Hinterstoder
11. Tag, 22. Juni, Steyrursprung
Poppenalm
12. Tag, 23. Juni, Admont
*Geschichte vom innovativen Campingplatz*
Hinterstoder Bahnhof Handy fast im Bus liegen lassen!
13. Tag, 24. Juni, Hieflau
*Geschichte von Emmaus"
14. Tag, 25. Juni, Pfaffenalm
15. Tag, 26. Juni, Jassing Almhütte
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