Radikal denken - Besonnen handeln, oder: die GRÜNE Vernunft

Das Virus hat die Welt pandemisch im Griff. Physisch wie psychisch. Wir wissen sehr viel und absurderweise vielleicht auch gerade deshalb noch viel zu wenig. Die Sinnhaftigkeit unseres aktuellen Gesundheitssystem wird quasi durch die verordneten Maßnahmen gegen die Pandemie im positiven Sinne pandemisch virulent. Es bedarf möglicherweise einer fundamentalen Revision. 

Das Virus stellt das Individuum vor die Frage, wie es sich vor ihm schützen kann. Die persönliche Verantwortlichkeit einer jeden Person ist von Bedeutung. Aktuell mehr denn je. 

Die Pandemie stellt die Gesellschaft vor existentielle Fragen seiner künftigen Organisation hinsichtlich ihrer Verschränkung und Ausdehnung. Möglicherweise sind flexiblere, weit komplexere Interventionen notwendig, um mit angemessener Reaktion auf pandemische Herausforderungen reagieren zu können  als mit einem "Kahlschlag" aus politischer Panik heraus. Ganz sicher werden "pandemische" Regelungen (Pandemie = alle Völker erfassend) sinnvoll, deren Maßnahmen bereits im Kleinen den Ausbruch des Großen verhindern können. 

Eine pandemisch "wirksame" Ausrichtung der Betrachtung wäre weit besser geeignet, pandemisch indizierte Krisen raumzeitlich einzugrenzen. Ein System etwa, begründet und ausgerichtet auf oszillierende Grenzziehungen, zeitlich wie räumlich betrachtet. 

Die Unumgänglichkeit eines natürlichen, individuellen Sterbeprozesses als Grundlage und Voraussetzung für ein Aufgehen in eine und für eine sich weiter entwickelnde Kultur rückt auch aus diesem Aspekt heraus erneut in den Mittelpunkt der aktuellen Reflexion. Ein Prozess, der zwar höchst individuell transzendiert werden muss, aber allein gesamtgesellschaftlich ausgerichtet und im Sinne ethischer Übereinkunft gelöst werden kann. 

Das Individuum darf sich aus eigenem Antrieb die unbequeme Frage stellen, welcher technische, medizinische und finanzielle Aufwand gerechtfertigt scheint, das eigene Überleben unlimitert sichern zu wollen. Und es darf sich fragen, inwiefern ein Leben unter den Bedingungen einer medizintechnischen Hochleistungsindustrie einem "lebenswerten" Sein noch zuträglich sind. Die Antworten auf diese Fragen werden aus der Mitte der Gesellschaft kommen müssen; obrigkeitsstaatlich verordnet dürften die Antworten auf derlei Fragenstellungen weit unbequemer ausfallen. 

Darüber sollte nicht vergessen werden: die Wirklichkeit des Moments vergeht im Wandel der Zeit. Will sagen: "Probleme" werden zu denselben, indem wir sie als Probleme - als Unterbrechung des gewünschten Vorgangs - erkennen. 

Mit dem Soziologen Hartmut Rosa ließe sich ein Postulat von der Rückkehr des Unverfügbaren formulieren. Philosophisch-theologisch betrachtet: Nicht wir Menschen als Individuen sind Herren über die Welt; in dem Moment, in dem wir eine Herrschaft über die geschöpften Dinge errichten, beginnt auf Seiten der primitiven Schöpfung, im Sinne von ursprünglicher Schöpfung, der Verfall. Alles Natürlich-Primitive ist in wohlgeordneter Bewegung. Allein Gott als Urgrund von allem - vielmehr noch das, was wir mit ihm assoziieren können - ruht in sich dauerhaft. So kann man es sehen und es scheint fast so, als würde das Virus uns zeigen wollen, dass die Menschheit ihr aufklärerisches Ziel, Mittelpunkt ihrer eigenen Welt zu werden, verfehlen wird. Geradezu exemplarisch zeigt es uns auf - (WILL es uns hierzu etwa ermuntern?) -, dass es Not täte die menschliche Gemeinschaft wieder auf "grüne", natürlich-primitive Füße zu stellen.

Radikal grün denken ist weit mehr als Parteiprogramm. Und schon gar keine Ideologie. Verkommt sie zu einer, wäre sie dem Verfall preisgegeben, wie alle Ideologien, die einem Ideal entsprechen, nicht aber einem wirksamen Leben

Grün handeln könnte einmal wieder das Fundament unseres - pandemisch verhandelten - Lebens werden, wie es vom Ursprung her immer schon war. Die Paradoxie im Anthropozän, des Zeitalters des Menschen, liegt in dessen Unverfügbarkeit zur Welt: alles Bemühen zur Entschlüsselung unseres Soseins für dessen materielle Ausbeutung, verschlüsselt den Zugang zu diesem Wissen umso deutlicher. 

Die Kränkung wirkt abolut. Der Kampf gegen diese Herabwürdigung bestimmt unser heutiges Sein. Der Erfolg unseres Lebens zählt sich in Lebensjahren und in der Absicherung gegen das Unverfügbare. Statt sich den Bedingungen der Schöpfung auszusetzen, versuchen wir die Bedingungen selbst in die Hand zu bekommen.

Insofern ist es zwar konsequent, wirkt aber entsprechend hilflos, wie wir den Gefahren der Pandemie mit anthropozentrischer Vernunft begegnen. Unsere Vernunft sucht Kontrolle über das Unverfügbare. Die Kontrolle darüber wird und muss uns misslingen. Andernfalls gäbe es nichts Unverfügbares. Desinfizieren, Masken tragen, Distanz halten. Radikale Hygiene bietet sich tatsächlich als Lösung an. Jedoch auch hier: Diese - unserer Vernunft entsprechende - Reaktion auf das Virus ist angstbesetzt, und bedeutet daher nicht Leben, sondern das Gegenteil, es führt in dessen Gegenteil - zum Tod. Müssen wir zum Leben doch Nahrung zu uns nehmen. Unsere Haut benötigt Berührung. Ebenso unsere Seele. Alle Berührung benötigt ein lebendiges, kommunizierendes Du, wie es in Martin Bubers Ich und Du aufscheint. Und in der Ich-Du Beziehung verinnerlicht sich das Unverfügbare in Gott. 

Soweit Radikales Denken.

Radikales Denken allein hilft jedoch nicht. Ganz im Gegenzeil, weil aus radikalem Denken noch keine sinnvolle Handlung folgt. Radikalität im Denken benötigt - es ließe sich nach Kant geradezu als dessen Aprioi postulieren - Besonnenheit im Handeln. Man lasse sich das Wort auf der Zunge zergehen. Be-Sonnen-heit. Die Sonne ist Quell allen Lebens. Die Energie der Sonne liefert den Lebensstrom, der als Urspung des Lebens geschaffen ist. Die Radikalität des grünen Denkens führt in der Besonnenheit ihres Handelns zurück zum Unverfügbaren, in dem wir den Sinn jeden Lebens erkennen können. Die Radikaliät dieser Utopie gründet auf der Unverfügbarkeit unseres Seins. Die christliche Offenbarung formuliert es als Aufforderung an uns unzweideutig: "die Zeit ist nahe" (Off 1,3; 22,10).

Die Zeit ist nahe, aber hat sich noch nicht erfüllt. Die Erfüllung der Zeit ist unser Leben. Solange wir mit aller Macht gegen das Unverfügbare im Leben ankämpfen, rückt diese Utopie, die Hoffnung, in immer weitere Ferne. Beginnen wir also besonnen zu handeln. Besonnenheit heißt hier: Handeln, das sich aus Radikalem Denken speist, Zeit zuzugestehen. Nicht die rasche Lösung zeitigt Erfolg, Nachhaltigkeit sei das Ziel.

Zur Lösung aktueller Probleme würde dies bedeuten: Nicht gleich alles, was wir durch die Nutzung irdischer Ressoucen verfügbar gemacht haben, kann auf einen Schlag verworfen werden. Unsere Welt ist finanziell und gedanklich investiert im ungebremsten Verbrauch aller verfügbaren Ressourcen. Diese Ressurcen sind gewissermaßen ein geschöpfter Puffer, über den wir verfügen dürfen. Die Wirkung des Puffers darf nicht verloren gehen. Gelingt es uns, das Verbrauchte in den Kreislauf der Schöpfung zurückzuführen, dürfen wir auch weiter darüber verfügen. Die Sonne liefert uns dauerhaft und überschießend notwendige Energie für einen wirklich Umbau hin zu nachhaltigem Wirtschaften.
Mit Besonnenheit handeln heißt: Radikal an die Vernunft der grünen Schöpfung glauben. Auf dieses Ziel hin lohnt es sich alle Kräfte zu bündeln. Die grüne Vernunft gebietet es. Und der Lohn dieser Vernunft wäre schließlich radikal, prozesshaftes Sein als persönlicheer Anteil am Unverfügbaren.

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