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Es werden Posts vom September, 2020 angezeigt.

Brief an den Sohn

Lieber Sohn, Wie geht es Dir? Du lässt nichts von Dir hören. Gesehen haben wir uns vor Monaten das letzte Mal. Gespräche verweigerst Du kategorisch. Welchen Grund gibt es dafür? Was habe ich damit zu tun? Sagst Du aber zu Recht: "Hättet Ihr mir doch bloß MEHR geboten, dann könnte ich mein Leben unbeschwerter Leben!" Ich müsste diesem Anspruch entgegnen: "Richtig! Blickst Du aber mit einem anderen Auge darauf, dann erst wird es um vieles unbeschwerter!" Es geht doch um Dein Leben, wie Du es führst. Dass Du es überhaupt führen kannst, ist Dir durch unser Leben geschenkt worden. Mit aller ihm innewohnender Verantwortung!  Nicht, dass es nicht dein gutes Recht wäre, auf Distanz zu gehen. Distanz ist wichtig, wie sollte man sonst ein selbstbestimmtes Leben führen? Man könnte sogar sagen: ohne Distanz kann man kein Mensch sein. Ein jeder ist seines Glückes Schmied. Sagt es uns doch schon der Volksmund. Wobei? Glücklicher kann Dich eine radikale Abwendung vor deinen Wurzel

Der Herr Christian

Es gibt ihn noch. Den Herrn Ober, genauer: den Wiener Herrn Ober, der hier in dieser Stadt weit mehr ist als nur ein eilfertiger Servierer von Speisen und Getränken in Gaststätten. Weltweit bekannt ist er in seiner stilvollen Attitüde. Beflissen, stets reserviert. Gerüstet mit gesundem Schmäh, das ja, den schmalen Grad jedoch zum "Goscherten", wie es im hiesigen Idiom so treffend heißt, auf elegantem Wege meidend. Nie laut. Selten zu schnell. Die Zeit darf gemächlicher vergehen im Wiener Kaffeehaus. Der Herr Ober ist ein Wiener Kulturgut.  Und man erlebt ihn im Café Dommayer in Hietzing. Hatte man das Vergnügen Herrn Christian, in seiner Dienstkleidung eine stets ebenso wichtige wie formvollendete Erscheinung, zu erleben, dann war man als Gast in Kürze fasziniert davon, mit welcher nonchalanten Gelassenheit und selbstverständlicher Heiterkeit man von ihm bedient wurde. Jeder Handgriff saß. Jede Einlassung auf die Wünsche des Gastes kultivierte Emphatik. Nie unnötig devo

Kommt am Ende wirklich immer der Schluss?

Die Proben zu frauJEDERmann wurden - deutlich gezeichnet von der verordneten Distanz - wieder aufgenommen. Und das war wichtig und so wohltuend! Unser wahrlich unermüdlicher Impressario Marcus Marschalek steht und lebt für das Gelingen des ehrgeizigen und herausfordernden Projekts und alle Beteiligten leben dadurch weiter mit frauJEDERmann. Vermutlich niemand, der dabei war, konnte sich dieser positiven Energie entziehen. Und es war wirklich erstaunlich, mit welch "virulentem" Schwung das "geistig Spiel" nach der Pause wieder in Gang kam. In Kleinstgruppen mit viel Freude und Elan erarbeitet, nimmt das Projekt weiter Fahrt auf. So ganz nebenher hat Marcus in einer Pause zwischen zwei Proben einen kurzen Diskurs über die (mögliche) Wirkung des Jedermann-Themas in unserer Inszenierung in den Raum gestellt. Die Argumentationslinien lassen sich hier in Kürze nicht darstellen. Jedenfalls ist ein Auftrag an uns Schauspielerinnen damit verbunden. Haben wir Marcus in seinen

Gedanken jenseits Corona

"Er gehört gar nicht zur Welt, er tritt ihr nur gegenüber" liest man im aktuellen Buch Pascal Merciers "Das Gewicht der Worte" und weiter "Keine Ahnung, ob das einen Sinn ergibt, aber das dachte ich." Wenn man die Schriften Pascal Merciers liest, dann kann man bald ein Gefühl dafür bekommen, wie sehr Sprache und deren Wortkonfigurationen den Sinn des Gesagten tragen. Ein Sinn könnte sich etwa darin finden, dass man Gesagtes hinsichtlich seiner vielen inhärenten Botschaften de(kons)truiert und dann neu (konstruktiv) zusammensetzt.  Der Satz "Er gehört gar nicht zur Welt, er tritt ihr nur gegenüber", macht so gesehen sehr wohl Sinn. Denn: träten wir der Welt nicht gegenüber, könnten wir sie, weil "ihr angehörig", ohne diesen Kunstgriff nicht in den Blick bekommen, da wir Teil ihrer selbst wären. Erst im Zustand der Distanz erscheint mit um so größerer Wahrscheinlichkeit ein etwas anderes Bild von  Wahrheit   ausserhalb unserer selbst.  N