Die Jahre 34 - 41 (1991 - 1998)
Eine
aufregende Zeit erster Berufsjahre. Zunächst als Angestellter eines
aufstrebenden Archtekturbüros. Wobei, "aufstrebend" war die gesamte
Zunft des Bauwesens. Schließlich mussten fast 50 Jahre Baukultur Berlin,
in Masterplänen "nachentworfen" und nachgebaut werden. In jenen Jahren
diente Berlin als Zentrum der weltweit planenden Archtitekturbüros.
Bauen in Berlin bedeutete Bauen an allererster Adresse der weltweiten
Aufmerksamkeit. Einige wenige Jahre jedenfalls. Es muss im Laufe der
Jahrer 1994-1996 gewesen sein, als sich die hochtrabenden Träume von
einer moderen Metropolenregion Berlin allmählich in Luft auflösten.
Planmaterial gabs zuhauf. Die Spekulation um höchste Anlagerrenditen in
der Stadt zerplatzen bald wie Seifenblasen. Das planende Handwerk gleich
mit dazu.
Zunächst waren es die
Hundertschaften ausländischer Praktikanten in vielen Berliner
Archtekturbüros als Erst, die die Stadt die weiterhin nicht vom Fleck
kommen wollte, wieder verlassen mussten. Gezahlt wurde ohnehin bald
säumig und auch mäßig. Der Jüngling, dem in dieser Zeit von einer
dunkelhäutigen Prinzessin zwei weitere Kinder und eine Stieftochter
geschenkt wurden, kam in wirtschaftliche Not. Zuvor aber lies er sich zu
einem weiteren Exkurs hinreissen.
37 (Frühjahr 1994) - 2. Exkurs. Odyssee nach Khartum (der Reisebericht einer Irrfahrt)
Avisiert
war es. Ganz sicher. Das eigentliche Ziel. Dann aber ging die Reise
eigentlich über jenes avisierte Zielverständnis weit hinaus. Die
eigentliche Reise nahm ihren Ausgang in einem hippen Café unweit eines
Marktplatzes in Berlin-Schöneberg, in dem der junge Architekt zahlreich
Anregungen und amoröse Abenteuer finden würde. Sein Weg führte täglich
mit dem letzen Strich am Schreibtisch vor die Türen des Cafés. Man saß
damals im Freien. Winter wie Sommer. Bei Regen oder Schnee unter einer
Markise. Weil, drinnen wurde bis zur Schwärzung der Lungen gequalmt.
Drinnen lechzte Haut, Haar und Kleidung bald nach frischem Duschen.
Draussen dagegen wehte rauhe Kiezluft. Und der Blick ins vorbeiziehende
Stadtleben war unverstellt.
Erstaunt konnte
beobachtet werden, wie sich innert kürzester Zeit Menschen verwandelten.
Alle wurden sie dort hineingezogen in den Sog jener Zeit. Der junge
Architekt gefiel sich als Exot. Er gehörte überall dazu und doch nicht
so richtig. Weder wollte er sich von der Totalität archtektonisches
Denkens noch von der alles vereinnahmenden Sucht nach Exzessivität
allein leiten lassen. Für das eine war er bereits zu alt, für das andere
noch viel zu jung. Und er wollte doch neugierig beobachten und
Teilnahme finden am realen Leben, ohne von dessen Irrealität verzehrt zu
werden.
Zumal zu dieser Zeit sein blonder
Sohn in der Stadt war. Früh morgens brachte ihn sein Vater in den
Kindergarten oder vertraute ihn seinen Freunden aus der Nacht an, die
sich mit dem kleinen Jungen Abwechslung vom Alltag erhofften. Und ganz
sicher auch fanden. Die Arbeit als Archtekt ging zu dieser Zeit überaus
leicht von der Hand. Als Erster im Büro. Durch nichts gestörtes
Arbeiten. Bis sich das Büro zu Mittag allmählich mit den Kollegen
füllte, war er bereits wieder frei. Und saß mit seinem Sohn im Café. Nie
wieder würde er so effetkiv arbeiten.
Der
großgewachsene, schlanke Sudanese hinter der Bar des Cafés, stets aus
dunklen, runden Augen freundlich lachend, lud uns zu seiner Hochzeit
ein. Im fernen Khartum! Khartum. Dieser Name war früh
Sehnsuchstort des jungen Architekturstudenten und Archtypus einer
einzigartigen Stadt. Eine ganze Stadt erbaut aus Lehm. Lehm als Produkt
des Genius loci. Schlanke dunkle Fußwege versprachen dort die
Flucht aus der Mittagshitze in die Frische von hellen Gärten, die durch
das Stömen der Luft über kühles Wasser Linderung von der Wüste am Nil
versprachen. Lichte Oasen behütet durch lehmige Wänden. Dort MUSSTE er
einfach hin. Auf der Stelle.
Es benötigte nur
wenige Worte gegenseitiger Überzeugung. Zwei Freunde waren ebenso rasch
begeistert und bereit zum Aufbruch. Meine Arbeitgeber kannten meine
Geschichten. Vielleicht waren sie einfache neugierig auf weitere. Oder
freuten sich an der zufällig erfolgreichen Fertigstellung eines
Gebäudes, an dem ich verantwortlich mitplanen und bauleiten durfte, bis
es dem neuen Finanzamt ein würdiges Gesicht schenkte. Sie stellten den
jungen, immer noch Arbenteuer suchenden Architekten auf eine gute Zeit
frei.
Eine Fahrt von Berlin nach Khartum?
Auf welchem Weg für die Distanz von rund einem Sechstel der Strecke zum
Mond? Welches Gefährt stand zur Wahl? Es wurde ein militärgrüner
Landrover, den wir auf einer Aktion aus britischen Beständen der
Besatzungszeit erlösten. Der Start verzögerte sich. Weil wir nicht
ausreichend Bargeld als einzig zulässiges Zahlungsmittel in unseren
Hosentaschen hatten, verblieb das Fahrzeug bei den Allierten. Am
nächsten Tag fehlte das Amaturenbrett samt Lenkrad. Der Kabelbaum zum
Motorraum war nur noch ein Strunk. In mühsamer Kleinarbeit verbauten wir
das Fehlende neu und verlegten die gesame Elektrik neu. Noch während
dieser Arbeit verliebte sich der angehende Reisende in seine schwarze
Prinzessin. Aber er stand im Wort. Abenteuerlustig, aber auch entflammt
in Liebe, die zurückgelassen werden musste, ging es um Mitternacht los.
Der
kürzeste Weg war die Mittelmeerroute. Bis Sizilien und dann weiter mit
der Fähre nach Alexandria. Am Hafen hieß es: bis auf weiteres alle
Fähren nach Alexandria stillgelegt. Wenige Tage zuvor war ein
Kreuzfahrschiff auf dem Nil Ziel des islamischen Terrors. Nach einer
Fahrt rund um die Insel führte der weitere Weg nach Brindisi mit der
Fähre nach Igoumenitsa, über das griechische Mazedoniern nach Istanbul.
Dort offerierte - neben einer Woche Aufenthalt zur Ausstellung eines
syrischen Visums jede Menge - türkische Gastfreundschaft jede Menge
Abwechlung. Das Nachtleben der Stadt damals legendär. Wir waren Gäste
Teppich handelnder Freunde, die uns auf der Straße irgendwo ansprachen.
Schlingel, so nannten wir das Kätzchen, das sich unserem Abenteuer
anschloss und bis zurück nach Berlin unser Reisemaskottchen blieb. Bei
jedem Zwischenhalt ging er für einige Stunden auf die Jagd. Wir warteten
auf ihn, er wartete auf uns, wenn wir auf Jagd waren.
Dann
ging es doch weiter. Entlang der Nationalstraße über Ankara Richtung
Adana. Von dort auf einer malerisch unbefestigten Straße hoch oben über
dem Mittelmeer nach Süden. Dann der Grenzübertritt (fast die ganze
Nacht, weil der Grenzbeamte sichtlich Bakschisch von uns zu erdulden
beabsichtigte), am Morgen erreichten wir Aleppo. Dann Richtung Damaskus.
Bei einer Pause mitten auf dem Weg wurden wir Gast einer
Beduinenfamilie. Die vermutlich alles, was die Küche hergab, vor uns auf
einem Teppich auftischte. Verständigung, ausser höfliches Verneigen und
schenkendes Lachen, war nicht möglich. Alles aus unserem Sortiment,
worauf die glänzenden Augen seiner reichen Kinderschar fiel, wechselte
den Besitzer. Alle wurden wir beschenkt. Der Abschied fast ein wenig
wehmütig,
Damaskus am Sonntag. Der berühmte
Basar; geschlossen. Wir verloren keine Zeit. Noch am selben Abend waren
wir in Amman. Welch ein Unterschied. Syrien marode, Jordanien modern,
Amman eine kultivierte Stadt. Wie seine Bevölkerung. Das Essen delikat.
Am nächsten Tag fuhren wir östlich des Jordans Richtung Totes Meer. Bald
standen wir am öligen Wasser des Meeres. Nicht schmutzig, aber schwer
und träge. Sein Wasser trug uns. Die Luft in der Nacht am tiefsten Punkt
der Welt schwer wie sein Wasser.
Dann
führte der Weg uns in die Wüste. Den Abzweig ins uralte Patra fanden wir
nicht. Dafür jede
Menge Dromedare. Auf der Straße, neben der Straße. Fahrzeuge nur wenige.
Parallel trugen östlich wie westlich des Jordans schwere Laster das
Salz vom Toten Meer in die Welt hinaus. Am Abend waren wir in Akaba. Von
dort aus nahme wir noch in der Nacht die Fähre über das Rote Meer nach
Nuwaiba auf der Sinai-Halbinsel.
Bereits
die Überfahrt war ein Geduldsspiel. Das Schiff, übervoll mit Mensch und
Fahrzeug, dümpelte dahin. Für rund 40 Seemeilen die gesamte Nacht! Bei
Tagesanbruch Ankunft und Zollformalitäten. Die Beamten legten uns
Formular zum Ausfüllen vor. In arabischer Sprache. Niemand sprach
Englisch bzw. wollte uns weiterhelfen. So beschlossen wir, zunächst
einmal abzuwarten, was passieren würde. Wir schliefen, spielten Fußball,
schauten aufs Meer. Drei volle Tage. Nichts geschah.
Plötzlich ein Poizeiwagen.... - die Geschichte wird bald zu Ende erzählt
Ende Exkurs
bis 41 (1991)
Bald
kam die wirtschaftliche Not. Die Planungen waren erstellt. Das Bauen
kam zum Stillstand. Kurzentschlossen kündigte er das Arbeitsverhältnis
und machte sich als freischaffender Archtekt kühn selbstständig, mitten
in die Baurezesesion hinein. Wahnwitzig. Seine Eltern waren
berechtigterweise entsetzt, als sie um einen Kredit - der bis heute
nicht getilgt ist - gefragt wurden. Mit diesem Kredit wollte ihr Sohn
gemeinsam mit seiner Frau die geringen Einkünfte aus seiner
selbststängigen Architekturtätgigkeit, die seine Familie kaum ernähren
konnte, durch die Eröffnung einer Boutique mit modischer Kleidung
aufbessern.
Die Boutique kam
nie aus den roten Zahlen. Die viel zu hohe Miete für das Geschäft fraß
sogleich jeden Monatsertrag aus dem Geschäft auf. Der Vermieter ließ
sich auf nachträglich Mietanpassung nicht ein und durfte entspannt
zusehen, wie den Mietern recht schnell die Luft ausging. Immerhin war er bereit einen großen Teile der auwändigen Renovierungs- und Umbaukosten zu erstatten.
Unverhofft
kam wie durch Zufall ein nächster Bildungsschritt zu Hilfe. Nach
Schließung der Boutique musste das Familieneinkommen anderweitig
aufgebessert werden. Ein Freund benötigte Hilfe bei seiner Tätigkeit als
Parkettschleifer. Kurzerhand wurde der junge Mann umgeschult von
Schreibtischarbeit auf Fußbodenarbeit. Zum Schutz vor dem höllischen
Lärmpegel der schweren Maschinen trug man Gehörschutz mit innenliegende
Lautsprechnern. Zu jener Zeit gab es den ganzen Tag über
Bildungsprogramm in zahlreichen öffentlich-rechtlichen Radiosendern. Gut
recherchierte, meisterlich aufbereitete Beiträge wechselten sich mit
guter Musik aus der Klassik und moderner Musik ab. Ähnlich wie zuvor im
Studium Generale empfing der Hörer ein weiteres Studium Audio Generale.
Rückblickend
ließe sich anmerken: nie zuvor und danach machte schwere körperliche
Arbeit begleitet von geistiger Kontemplation mehr Sinn als diese. Ein
Stück fertiges Werk, das täglich aufs Neue erschöpft betrachtet werden
konnte. Der Überschuss an Input von Informationen benötigten ein Ventil,
das sich in dieser Zeit für ebenso reiche wie heitere Kommunikation
entäusserte. Der Schlaf dieser Zeit war kaum je ausreichend lang, aber
tief und fest. Nur derjenige Akademiker, der sich so eine Arbeit
freiwillig aufbürdet, weiß um diese einzigartige Erfahrung. Das
verständliche Entsetzten im Kollegenkreis der Architekturgilde, im
Familien- und Freundeskreis ebenso verständlich.
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