Dramolette olfactorioso Heiliger Hallen
PROLOG
Eine postmythologische Zukunft ist Geschichte geworden. Jeglicher Tod entgültig überwunden. Die Götter der Vergangenheit sind längst durch neue Götter ersetzt. Dem Menschengeschlecht edler Prometheaer ist es gelungen den Bann der Unsterblichkeit zu brechen, der einst paradiesische Zustand ohne den Fron harter Arbeit ist einem Alltag aus Spielen und Wohlfahrt gewichen. Der Olymp, einst allein den Göttern vorbehalten, ist irdischen Gelüsten anheim gefallen.
Aber das längst überwunden geglaubte Drama wurde von idischen Niederungen in himmlische Sphären verlegt. Ein Virus des künstlichen Programms, geschaffen von Menschen, infizierte die Götterwelt. Statt lichte Heiterkeit, sind Missgunst und Neid eingezogen. Die neuen Götter haben den Namen Gott nicht länger verdient. Banalisierung, Gleichmacherei, Inclusion die neuste Mode, die nun schon bald ein Jahrtausend andauert. Die Folge: die Durchmischung irdischer und himmlischer Sphären. Das alte Credo, "das Weiche werde über (die) Härte obsiegen", hat sich bewahrheitet. Zufriedenheit ist Ödnis gewichen. Werden die einst umtriebigen Götter darin überleben? Erste Rückeroberungspläne mit geplanten Umsiedlungsaktionen vom Himmlischen ins Irdische werden entwickelt. Das Programm zur Umsetzung allein erweist sich entgegen aller guten Hoffnung als fehlerhaft. Die Luft wird knapp, die Temperaturen steigen unaufhörlich, eine Katastrophe droht. Wird der seit jeher verheißene messianische Retter die Himmlischen vor dem Untergang retten? HYPERION, der menschlichste aller Menschennaturen - im Irdischsprech: UBERMENSCH - wird angebetet, verherrlicht. Opfergaben ohne Unterlass werden gespendet. Ganze Himmelsscharen, aus dem Heer der Herrlichen, sind bereits blutigsten Orgien zum Opfer gefallen ...
Ort der Handlung: Wien Hietzing, in Heiligen Hallen jener Zeit
Zeit der Handlung: Iden des März in den 20iger Jahren, 1. Jrhdt, proto-mytholigisches Zeitalter.
Fragen zur Handlung: Inwieweit kann das Menschengeschlecht seinem Untergang entgehen, obwohl die Ordnung der Sterne seit jeher periodisch eine düstere Zukunft vorhergesagen?
DIE ZURICHTUNG
(Ein Tempel, der ASTRAEA, antike Göttin der Reinheit, geweiht. Irgendwo im Nirgendwo. Kahle Wände, hell erleuchtet vom Gott des Lichts, NEON, der mythologische Hauptgott jener archaischen Kultur. Zwischenperiode der Achsenzeit, welche Menetekel der Vergangenheit bewusst ausblendet um alles Licht auf die Verheißung Zukunft hin ausrichtet. THANATOS, Gott des sanften Todes, der akribisch den Eingang zum Tartaros der Vergänglichkeit bewacht und sich im Dienst mit seinen verschwisterten Göttern HYPNOS, Gott des sanften Schlafes und KER, Göttin des gewaltsamen Todes teilt. Die Menschen jener Zeit durften nicht mehr gnadenhalber sterben, sie hatten die Pflicht die Zeiten zu überdauern.
Steinern hallen Schritte draußen, vor dem Zugang zu Heiligen Hallen. Drinnen stehen Waschbecken und Gefäße streng geometrisch ausgerichtet nach der Ordnung des Kosmos. Sie dienen zur rituellen Reinigung. Ausgesuchte Materialien, marmorn, gravitätische Anmutung, einziger Schmuck im sonst schmucklosen Raum. Demut und Reinlichkeit sind hier oberstes Gebot. Verletzungen der Ordnung werden strengstens mit dem sofortigen Tod bestraft. Es dauerte viele Jahrtausende bis der Ur-Vater im göttlichen Olymp, ALGORITHMOS, der post-mytische Gott gerechter Programmatik, geboren war. Das irdische Heil ist seitdem gesichert. Der Tod für alle Zeit besiegt.
E. betritt die heiligen Räumlichkeiten. Im Vorraum steht ein Mann mit nacktem Oberkörper vor einem der Becken. Der Mann ist in die Jahre gekommen. Er reinigt sich. Es riecht streng.
E., (will den Kopf schütteln, irritiert) zieht sich diskret zurück, in einen derer Räume, die, von zartesten Aromen erfüllt, innerer Sammlung und tiefster Beräumung dienen. Er setzt sich. Der strenge Geruch will nicht weichen.
Draussen, im Atrium des heiligen Ortes, sind das Fließen, das Schütten, das Tropfen, die Handlungen spiritueller Waschungen, deutlich zu vernehmen.
Nach innerer Besinnung fühlt sich E. bereit. Er tritt nach draußen, betritt erneut das Atrium zur Reinigung der Seele.
Der Boden vor dem Backen ist überschwemmt. Der strenge Geruch strenger. Der alte Mann, der die Haut mit seinem gebrauchten Obergewand trocken zu reiben versucht, wähnt E. im Rücken, wendet sich daher, noch etwas ungelenk, behäbig, diesem zu.
DER DIALOG
Alter Mann
vermittelnd, in kaum wahrnehmbarer Unsicherheit, lächelnd
Politiker machen Schmutz, räumen dann aber ordentlich auf!
Allerhand. Streng nicht nur der Geruch
E. So wie Sie es sagen, sehen Sie es mir bitte nach, klingt ihre Aussage zynisch.
Der alte Mann Zynisch? Wie kommen Sie darauf? Sind sie Politiker? Veranstalter? Schauspieler? Ich bin Musiker
E.
(zuvorkommend)
Nein, bin ich nicht.
(lächelt, mit einer Prise strenger Süße im Mund)
Nichts dergleichen. Privatier. Und als Bürger unseres Landes ... jedenfalls ... ein politischer Mensch!
E. und der alte Mann beäugen sich. Prüfend
Mit einem sparsamen Zeichen der Händewaschens, erbittet E. Zugang zum heiligen Becken. Der strenge Odem will nicht weichen.
Der alte Mann tritt zur Seite.
E. berührt mit dem Ellbogen eines der Gefäße, über dem Becken zur Reinigung angebracht. Das Gefäß ergießt sich, herben Duft verströmend, über E.s erwartungsvolle Hände.
E. atmet aus und tief wieder ein. Reibt die feuchten Hände,
demonstrativ,
als wolle er sich in Unschuld waschen.
E.
(freundlich)
Eine bescheidene Frage. Wer ist Ihr Alter Ego?
Der alte Mann
(sichtlich irritiert ob der Ansprache, aber immer noch zugewandt)
Gute Frage ...
E.
Sokrates ... Diogenes?
Der alte Mann
Hmmm. Bin eher fernöstlich ...
E.
(zögernd, dann bestimmt)
Davon weiß ich nichts. Bin nicht berufen darüber zu sprechen!
Kurzes Schweigen. Ruhe.
Alter Mann
(stimmlos)
Ich habe meine Beziehung hingerichtet!
E.
Hingerichtet? Ein überaus strenges Wort.
(Wie Dein Geruch, denkt sich E.)
Alter Mann
(jede Silbe schwer des Schmerzes):
hin ... ge ... richtet! (Der Schwung in Händen und Armen zeigt deutlicher noch als die dürren Silben, worum es ihm geht. Sein Gemüt hat Recht gesprochen)
E.
Und Sie? Sie wollen sich die Felsen hinabstürzen?
Alter Mann
(mit unhörbarer Stimme, den zynischer Ton, - wundersam wie geraffte Zeit - in einen neugierigen, Trauer tragenden Blick wechselnd.)
Die Felsen hinab ... stürzen?
Tiefer Blick in tiefem Blick. Frage an Frage.
E.
Meine Frage haben Sie nicht beantwortet.
Alter Mann
Ihre Frage?
E.
Wer ist Ihr Alter Ego.
Alter Mann
Was MACHEN Sie? Was ... WOLLEN ... Sie?
E.
Wer ist Ihr Alter Ego?
Pause. Der Geruch ist streng. Die Gewissheit im Raum nicht mehr ganz so streng.
Alter Mann
Wenn ich die alten Griechen bemühte; wie hieß er doch gleich? Sie, die Schule?
E.
Kyniker? Hündische? (Der Geruch wäre passend)
E.
Peripatetiker?
Der alte Mann schaut ratlos. Sucht ein Wort.
E.
Platon?
Alter Mann
Ja, .... sein Lehrer?
E.
Sokrates?
Alter Mann
Ja! Natürlich .Der war es! Ein überaus hässlicher Mensch. Schirlingsbecher.
E.
(Bedeutungsschwer)
Glauben Sie mir. Es lohnt sich ... Gift muss man trinken! Andernfalls droht Hinrichtung. Seitens ihrer Frau?
Alter Mann
(auflachend)
Da mögen Sie Recht haben!
E.
(Ins Lachen einstimmend
Ganz wie Sie!
Alter Mann
Das war das netteste Toilettengespräch, das ich je in einer geführt hätte!
E. und der Alte Mann geben sich dezent, aber freundlich die Hand.
E. öffnet die Tür und verläßt den Sanitärraum.
Epilog
NEON fest im Blick betritt E. den Flur, den Weg gewiesen in einen gut gefüllten Gastraum. Geschwätzig, voller Heiterkeit, jeglicher Bestürzung Heiliger Hallen missend. E., dankend der großen Göttin ASTRAEA, mit Händen hoch erhobenen.
Die Reinigung ist gelungen.
Seine Berufung hatte E. jetzt gefunden.
Berufung in der Anbetung guter Götter. Berufung in heiligen Hallen. Berufung des Höchsten.
Der Alte Mann hatte mit Recht seine letzte Würde verteidigt, trotz allen irdischen Ungemachs. Ein Sokrates unserer Zeit. Ein Diogenes. Der strenge, göttliche Atem RUACH war verflogen. Die Götter haben sich einmal mehr als gnädig erwiesen.
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