RodaunerRosenkavalierReloaded - Konzeptideen


Lieber XXXXX,

ich nahm mir die Zeit zum "spinnen" und konnte daher zu unserem Rosenkavalier den Faden der letzten Tage ein wenig weiterspinnen. Will unsere Überlegungen eher noch weiter "aufrollen" als allzufrüh zu "verknäueln". Das sollen erst die nächsten Schritte.

Eines scheint mir wichtig voranzustellen: Das Skandalon, das in der Kernhandlung nach wie vor bestens funktioniert, will in einer zeitgemäßen Rahmenhandlung UNVERÄNDERT wohl kaum funktionieren. Und nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass es dort auch die Bedienung eines "überkommenden" Rollenklischees nicht mehr nötig hat. In der Rahmenhandlung darf in dieser Beziehung gar kräftig durchgemischt werden! Unverändert und auf den Punkt gebracht wäre das Skandalon heutiger Zeit, dass es unzumutbare Herrschaftsverhältnisse wie selbstverständlich auch heute noch gibt! Über unsere Grenzen hinaus, daher in dieser Dimension mehr denn je zuvor! Wir brauchen sozusagen "heutige" Machtverhältnisse den vornmalig "üblichen" nur gegenüberzustellen um sie zu entlarven. Nicht das explizite Skandalisisren von Macht und Ohnmacht scheint mir das geeignete Stilmittel, das einfache Gegenüberstellen reicht vollkommen. Soviel "Verstand" sollte dem Publikum unbedingt zugebilligt sein, sonst droht statt der Farce ein fades Mahl angerichtet zu werden. Damals ging es um gesellschaftlichen Aufstieg (oder seinem Gegenteil, der Angst vor Abstieg), so wie auch heute noch. Um den Aufstieg zu den Hebeln der Macht, wie heute. Damals um Wahrung von Besitzständen, so wie heute. Damals wurde um Ämter und Titel geschachert, heute um "Sichtbarkeit" in den Medien.
Damals ging es um Begehren, heute um Begehrtsein, dem janusköpfigen Ur-Sinns allen menschlichen Gebarens

Verändert hat sich lediglich unser Rollenverständnis. Heute scheinen wir freier in der Rollenwahl. Sexualität ist heute nicht mehr nur genderdefiniert, andererseits mehr denn je zuvor. Dieses Paradoxon sucht geradezu den Sprung auf die Bühne und von dort in die Welt, weil dies jene Bretter sind, die die Welt bedeuten. Daraus lässt sich jede Menge Spannung und Komik entwickeln. Wir stehen vor der Aufgabe heute ein "Libretto" für die "Musik" von morgen zu entwickeln. Ganz wie vor rund hundert Jahren Hofmannsthal und Strauss.

Konkret hieße es, nennen wir es ruhig einmal das "irrationale Moment" unserer Zeit, dingfest zu machen indem wir dessen "Glorienschein" entlarven. Nicht mit dem allwissendenen (gerechten) Zeigefinger Gottes, sondern mit weit milderen Mitteln, der Komik, der Groteske eines geradezu "höllischem" Verwirrspiels.

So könnte der Octavian zu Beginn noch "geschlechtslos-transsexuell" agieren. Er wird begehrt und wird sich daher im Laufe des Plots bekennen müssen. Der Ochs könnte in unserer Kernhandlung Ochs bleiben, in der Rahmenhandlung als ein Typ mächtiger frauJEDERmann auftreten! Die Marschallin im Kernteil die gütige Marie Theres', im Rahmenteil ein buhlender Parvenu, der allmählich erkennen muss, dass es an der Zeit wäre seine Rolle "besser" - nicht ohne Wehmut - zu überdenken. 

Auf einer Metaebene lassen sich vermutlich aus dem Schriftverkehr H.S., oder auch aus Quellen anderer Zeitzeugen, Dialoge finden, die dem Publikum einen erhellenden Blickwinkeln auf das Bühnengeschehen ermöglichen. Oder sie bestehen aus musikalisch untermalten Botschaften aus einem "allmächtigen" Off, das unser Gewissen, unsere Anschauungen auf den "Prüfstand" hebt. Ein buntes Spektakel an Wortwitz und Blitzlichtern, ein Verwirrspiel shakespears'schen Ausmaßes! Ein Parforceritt mit heftigem Augenzwinkern durch das bisherige Theatergeschehen! Das Rokoko feiert vor der Bergkirche Auferstehung!

In erster Annäherung würde ich das Stück beginnen lassen wollen mit dem musikalischen Vorspiel des Originals. (gibt es tatsächlich keine Aufführungsrechte mehr?). Mit "einem musikalisch intonierten Geschlechtsakt", wie ich es irgendwo in den letzten Tagen gelesen habe.

Wir beginnen mit der Rahmenhandlung. Es steht nur ein breites Bett auf der Bühne. Octavian, gekleidet als "Loverboy" und der Filmregisseur liegen im Bett unter Decken verborgen. In diesen rund 2 Minuten wird eine Bühne wie auf einem Filmset aufgebaut. Octavian steigt aus dem Bett, der erste Akt beginnt. Wie bei unserer frauJEDERmann wird der Text entsprechend gegendert. Nehmen wir den Originaltext oder texten wir ihn zeitgemäß um?

Die Handlung nimmt ihren Lauf bis der Ochs als Filmproduzentin die Bühne betritt. Auch sie ist vom Liebreiz des unschuldigen Loverboys Octavian "amüsiert" und "erotisiert", scheint sich der geradezu selbstverständlichen "Verfügbarkeit" des "jungfr
äulichen" Objekts ihrer grenzenlosen Begierde sicher. Ist sie doch die allmächtige Produzentin, ausgestattet mit Macht, Geld und Dominanz!

In meiner Buchausgabe des Rosenkavaliers sind die Ergebnisse der Arbeiten am Libretto von H. und S. gegenübergestellt. Sie unterscheiden sich zum Teil erheblich aus mindestens zwei Gründen. Zum einen unterlag die Aufführung des Rosenkavaliers in Deutschland zu jenen Zeiten noch der Zensur! Zum anderen benötigte Strauss Änderungen für seine Komposition. Im ersten Akt gibt es im Libretto H. eine deftige Monologstelle des Baron,

"BARON:
Je nachdem! alls je nachdem! 
Das Frauenzimmer hat gar vielerlei Arten,
wie es will genommen sein.
Da kenn’ ich mich aus, halten zu Gnaden! 
Da ist das arme Waser!’,
steht da, als könnt sie nicht bis fünfe zählen,
und ist, halten zu Gnaden, schon die Rechte, wenns drauf ankommt.
Und da ist, die kichernd und schluchzend den Kopf verliert,
...usw."

die im Libretto S. ein wenig "abgemildert" scheint; aufgrund der Zensur?

Andererseits gibt es im weiteren Verlauf des Dialogs zwischen Baron und Octavian im Libretto S. einen Absatz, der im Libretto H. komplett fehlt. 

An dieser Stelle könnte, sofern man das Konzept Rahmen/Kernhandlung aufrecht erhalten möchte, die "Übergabe" inszeniert werden. Aus dem Off ertönt Musik und eine Stimme mit einem Text der Metaebene. In dieser kurzen Sequenz wird die Bühne umgebaut (von Jetztzeit auf Rokoko) und Rollen und Handlungsebene werden durchgewechselt.

Der Dialog vorher wird in gewechselten Rollen nochmals gespielt, die o.g. Textleerstelle im Libretto H. ergänzt und das Stück geht in einem Zug weiter bis zum Ende ersten Akt.

Wie und an welchen Stellen sich solche "Zeitsprünge" in Akt zwei und drei rechtfertigen lassen, kann ich momentan noch nicht erkennen, weil ich diese noch nicht bearbeiten konnte.

Soweit mein "Gespinne". In erster Näherung, bruchstückhaft noch, ohne wirklichen Tiefgang. Solcher entsteht in einem offenen Prozess ohnehin erst beim "Verleiblichen", beim Proben. Bin schon sehr gespannt auf Deine Einwände und Anregungen.

Liebe Grüße
Georg


Akt I

S. 24,8 Baron "Es geht nichts über die von der anderen Seite"
Cupido, nicht Aphrodite!

Wechsel von Rahmen auf Kern
S. 26,  15-20

Akt II

Wechsel von Kern auf Rahmen
S. 56, 15ff

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