Rosen aus Rodaun

Mit der zweiten Durchsicht auch vom II. Akt bin ich nun durch; und ich muss schon sagen: die Worte der beiden, mir vorliegenden Libretti ziehen mich mit jedem Durchgang noch tiefer ins Geschehen! Wer könnte sich auch entziehen, diesem Schatz an Wortwitz und an Güte, an Wohlgefallen! Trotz (oder gerade aufgrund) ihrer überdeutlich grotesken Heiterkeit aus Zuweisungen, Entsprechungen und "Hoffärtigkeiten", die in komplexer wie tiefgründiger Rollenzuschreibung "geschürft" werden! Diesen "Schatz" gilt es auch für uns mit gleicher Lebendigkeit zu unserer Bühne zu machen!

Mlt einem Konzept des Changierens zwischen Kern und Rahmen unter Vermittlung einer Metaebene aus Schattentheater, Musik und Zeugnissen vom Schriftverkehr H.S. könnte das Spiel der "leibhaftigen" Figuren auf einer weiteren Ebene erfahrbar machen. Zudem wäre eine konzeptionelle Nähe zu unserer frauJEDERmann sichtbar. Dort gab es durch Entsprechungen metaphorischer Figuren zu ihren höchst "irdischen" Pendants eine mit Spannung aufladenene Dreischichtung aus "Ursprünglich/Mythischem" (Tod, Teufel, Mammon), "Gegenständlich/Wirksamen" (Tischgesellschaft) und "Überweltlich/Geläutertem" (Gute Werke, Glaube). Hier würde ebenfalls eine "raumzeitliche" Abfolge der Geschehnisse aus archetypischem "Ursprungsrahmen" (Akt I), "lustvoll-alltäglichem" Raufhändel (inmitten Akt II), und der Morgenröte eines zeitlich zwar noch fernen aber doch schon nahenden, fast telelogischen Ziels, in Form weiterer "Läuterung" jenes Archetyps festgeschrieber Rollen, die unserer "Kernhandlung" ihre Bestimmung schenkt (Akt III). Indem sich alles Äußerliche ändert, bleibt alles "Innerliche" weiter ungebrochen im Schwange. Mit diesen Gedankenspielen geht ein Wechsel von Kern und Rahmen einher. Der eigentliche Kern findet sich im hier und heute, die Weite des Rahmens in der Vergangenheit Maria Theresiens und weiter in deren Geschichtlichkeit.

Das Publikum, "Jedermann", wird in die Essenz seinen mythischen Wesenskerns "geführt", im Ringen um Halt aus einer niemals perfekten eigenen Geschichtein heraus in eine unbekannte, vor uns liegende Zukunft hinein. In immer notwendiger "Läutetung" aus Umkehr und Neuanfang, hin zu einer "Lösung" strukturell festgefahrener Verhaltensmuster. In ganzer Tiefe wahrhaft "biblisch", aber in Hofmannsthals Wortspielen, heiter und schwerelos, ausgespannt in einen Rahmen, eine Jetztzeit und seinem künftiger Kern.

Ich denke wir können uns sicher sein, dass Hofmannsthal und Strauss (sowie deren "Mittäter") einen derartigen Verlauf ebenso angelegt sahen. Wenn es uns gelingt, auf den moralischen Zeigefinger zu verzichten und unseren Figuren ebenso freizügigen (und dadurch auch bloßstellenden) Handlungsspielraum ohne Häme und Zensur anzutragen, dann werden wir dem Geist des Theaters unserer Vorgänger gerecht. Das Vermächtis heißt: zwei Stunden, "heiterens Reflektieren", den allzumenschlichen "Wesenskern" aus dem Spiel der "Mächte" herauszuheben und mit lustvoller Spielfreude auf die Bühne zu bringen

Und die übliche Pause? Sie findet ihren besten Platz wohl zwischen Akt II und III. Allein das Vorspiel zu Akt III ist ein inszenatorisches Meisterstück. Die weitere Handlung hebt zu einem komödienhaften Versteck- und Verwirrspiel an, in Schattenspiel, Tanz und Wortfiguren aus dem Off, das erst in der Lösung aller Handlungstränge zum Ende des Aktes ihr Ziel findet, in dem Ochs und Marie Theres', zwar voller Melancholie aber freien Herzens, schließlich den "Staffelstab der Mächte" an die nächsten Generation, Hoffnungsträger aller Zukunft, weiterreichen. Man hat das Leben gelebt. Und so hebt es wieder an zu neuem Leben. Mit Augenzwinkern bleibt Hoffnung auf die Utopie des "All-Guten" lebendig.

Entscheidend zur Entfaltung des Lesbaren "coram publico" (mit zur Schau getragenem Herzen) bleibt der Blick in Milde und Herzensgüte, angelegt wie von Zauberhand in allen Figuren: durch Witz und Wort, Gestik und Mimik genuin hofmannsthal'scher Prägung! An dieser "Zauberhand" als "Hofmannsthaler und Straussche" weiter zu arbeiten sollte uns Verpflichtung sein.

"Du kannst den Löwen nicht bezwingen, wenn er dich nicht liebt", was auch immer uns Lion Feuchtwanger mit diesen Worten sagen wollte, ich glaube man darf ihm zustimmen. Auch unsere Zeit ist absolut liebeswert, wie sehr sie uns bisweilen auch bedrängen mag. Und seien wir ehrlich: welche Zeit zuvor war "angesichts ihrer unmittelbaren Zukunft" nicht bedrängend wie das Leben an sich?

Um 1958 schrieb Feuchtwanger im Nachwort zu seinem Roman "Jefta uns seine Tochter": "Nun ist unsere Epoche eine Zeit schneller, starker Wandlungen, und in solchen Zeiten verstellen die Ereignisse, gigantisch verzerrt, den Menschen den Blick aufs Ganze, aufs Universale, aufs Geschichtliche. Sie haben Blick nur für die allernächste Zukunft, fürs Morgen, sie sind ausgefüllt von den Ereignissen, gezwungen, Entschlüsse zu fassen, zu handeln, und: »Der Handelnde«, fand Goethe, »ist immer gewissenlos, Gewissen hat nur der Betrachtende.«(....)

Die halbvergessene Kunst des geschichtlichen Dichtens ist eine sehr hohe Kunst. (...) Sie befreit denjenigen, der ehrlich daran arbeitet, aus seiner statischen Nur-Gegenwart. Hebt ihn über sich hinaus, gibt ihm Spürung des unendlichen Werdens, lehrt ihn die eigene Zeit als ein Dynamisches verstehen. (...) Der Leser kann die Menschen einer historischen Dichtung gleichzeitig aus der Distanz betrachten und an ihrem Sein und Leben teilnehmen. Er begreift nicht nur, er spürt, daß die Probleme dieser Menschen, so anders sie aussehen mögen, die gleichen sind, die ihn selber bewegen und einmal seine Enkel bewegen werden."

Zeitlosigkeit und Tagesaktualität erscheinen nur in unserer Wirklichkeit uneins, in Wahrheit sind sie aber Eins. Gutes Theater jedoch zeigt diesen Sachverhalt mit einem Augenzwinkern. Mit einem bunten Strauss an "kavalesken Rosen aus Rodaun" können wir uns und unser Publikum beschenken.







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