Gedanken zu Hugo von Hofmannsthals "Der Schwierige"
Vorüberlegungen
»Semantische Überschüsse sind elitäre Marotten eines Bildungsbürgertums, das, verschanzt hinter Suhrkamp-Bänden, seiner Bedeutungslosigkeit entgegendämmert«, war vor kurzem in einem Artikel der NZZ zu lesen mit dem Titel: Professor tote Hose - Der Punk-Pop-Star Campino hält an der Uni Düsseldorf eine Vorlesung über Literatur.
Der Abgesang an das Alte, noch zu Verwerfende, weil überflüssig und bedeutungslos geworden, scheint heutzutage den medialen Diskurs zu beherrschen. Und tatsächlich: es geht um die Sprache! Die Wahl der Worte schaffen das Spektrum, in dem gedacht wird ... oder in dem gedacht werden darf; vom expressiven Dadaismus bis zum postmodernen Gendern reicht die Bandbreite die Deutungshoheit durch Sprachverfügung neu zu besetzen. Hugo von Hofmannsthal sah es kommen und sein ganzes Bemühen war es, das zu verhindern.
Mittlerweile sind mehr als hundert Jahre vergangen, seitdem Hugo von Hofmannsthal dem Theaterpublikum die Komödie Der Schwierige präsentieren konnte. Zehn Jahre waren vergangen zwischen der ersten erhaltenen Notiz Hofmannsthals im Dezember 1909 und dem Abschluss des dritten Aktes August 1920. Dazwischen lagen nicht nur Hofmannsthals Arbeit an vielen anderen Bühnenwerken u.a. seine bekanntesten mit dem Libretto zu Johann Strauss Oper Der Rosenkavalier und dem Jedermann, sondern auf weltpolititische Bühne die Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit seiner folgenreichen Nachkriegsordnung und dem Zerfall einer ehrwürdigen europäischen Zentralmacht, der habsburgischen Doppelmonarchie, quasi gleichbedeutend einer Implosion aus einem facettenreichen Vielvölkerstaat in ein politisch weitgehend unbedeutendes Fragment, dem heutigen Österreich. Mit dem Staatswesen drohte auch dessen reiches kulturelle Vermächtniss im täglichen Vollzug in Vergessenheit zu geraten.
Andererseits war die Hoffnung groß, das aus dem Zerfall der alten Ordnung eine neue, bessere und umfassendere Friedensordnung hervorgehen könne. Denn steckt nicht in jeder Krise die Verheißung eines Neubeginns? Mit gänzlich neuen Chancen?
Hofmannsthal Denken blieb skeptisch. Sein Blick richtete sich vor allem auf einen drohenden Verlust an Sprachfähigkeit, der Möglichkeit durch Sprache Distanz zu gewinnen vor den Absichten der modischen Zeit. Und tatsächlich: nicht nur der Begriff Absicht erhält in den Händen Hofmannsthals ein gänzlich neues Gewand. Dazu weiter unten mehr. Als Schriftsteller musste er die aufkommende Sprachkrise fürchten, er sah sie deutlich vor Augen, die sich infolge des politischen Unwälzungen über das alte Europa legen würde. Die Krise wurde zu seiner persönlichen Krise, die sein schriftstellerisches Schaffen auf neue Bahnen lenken würde. Hofmannsthal wählte dafür einen ebenso ungewöhnlichen wie anspruchsvollen Weg.
Das Programm für diesen Sonderweg entwarf der achtundzwanzigjährige Hofmannsthal bereits im Jahr 1902 mit seinem legendären Aufruf im Brief des Lord Chandos an Francis Bacon. Den Inhalt könnte man einerseits als ein Epitaph jener untergehenden Gesellschaftordnung nennen, andererseits aber auch als notwendigen Aufruf zum Schaffen neuer zeitgemäßer literarischer Ausdrucksmöglichkeiten. Denn aus (sprachlich-politischem) Zerfall würde sich eine neue Ordnung etablieren müssen unter dem Schirm einer gänzlich neuen Sprachordnung, einer neuen Prosa, einer neuen Poesie, so seine Hoffnung. Dazu musste Hofmannsthal zunächst einmal die kulturellen Fundamente schriftstellerisch durchforsten. Nicht im Sinne revolutionärer moderner Programmatik, getragen vom Nihilismus jener Zeit, das sich dadaistisch, expressionistisch und in wurzellosen futuristischen Strömungen sprachlich Geltung verschaffen würde; das konnte Hofmannsthals Weg nicht sein. Sein Weg musste ein philologisch inspirierter Sonderweg sein, ein in metaphysisches Empfinden getauchtes poetische Weltgefühl in tiefer Verschränkung mit der griechischen und deutschen Klassik; dieses Erbe durfte nicht auf dem Altar der Moderne aufgeopfert werden, sondern sollte sich mit tauglichen Stilmitteln neu begründen. Darin würde sich das Kunstverständnis Hofmannsthals messen lassen müssen.
2) Das hypermoderne Vermächtnis Hofmannsthals
Im Jedermann etwa suchte er das weithin ins Bedeutunglose versinkende religiös inspirierte christlich-jüdischen Vermächtnis auf der Bühne mit frischen Bildern neu zu beleben. Beim Rosenkavalier versuchte er die Nachwirkungen der habsburgisch schillernde Epik mit klassisch-modernem Musikverständnis Richard Strauss' anzureichern um sie auf neue Bahnen zu lenken. Beiden Werken wohnt von Grund auf die besonnene und gütige Sicht auf das Vergangene ein, die sich mit feinem Humor und sanfer Ironie bis in unsere heutige Zeit hinein Geltung zu verschaffen weiß.
Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten wird heute auch explizit von Wiener Moderne gesprochen; man könnte - das Vermächtnis Hofmannsthals bedenkend - gar den Begriff Hypermoderne (griech. ὑπέρ = in übertriebenem Maß, mehr als richtig, gut, oder normal) einführen oder auch Metromoderne (griech. μέτρον = Vers), d.h. einem eigenen Rhythmus folgend, aus zweierlei Gründen.
Erstens kann man dem Werk Hofmannsthal aufgrund seines metaphysisch angelegten Bezugspunktes einen gewissen Impuls zur Überzeitlichkeit zusprechen - paradigmatisch zu erkennen im als Mysterienspiel angelegten Jedermann: das Spiel vom (ewigen) Sterben des reichen Mannes.
Zweitens durch einen Bezug zum mittelhochdeutschen Versmaß:
«Hofmannsthals Drama (Jedermann) ist vollständig in Versen gehalten; das Versmaß ist durch die nicht immer gleiche Zahl von unbetonten Silben dem Knittelvers ähnlich, der für die mittelhochdeutsche und frühneuhochdeutsche Dichtung typisch ist. Die Sprache hat insgesamt eine mittelhochdeutsche Färbung. Man kann annehmen, dass Hofmannsthal hier, wie im fast zeitgleich entstandenen Rosenkavalier eine Art „imaginäre Sprache“ schaffen wollte, die eine bestimmte Stimmung der Vergangenheit heraufbeschwört, ohne diese historisch rekonstruieren zu wollen»¹.
Selbst das in Prosa verfasste Theaterstück Der Schwierige enthält zu dieser mittelhochdeutschen Dichtung, wenn auch indirekt, einen gewissen Rückbezug. Durch eine zunächst unscheinbare Replik zum Wesen des Narrenspiels, in der Person des zugleich anwesenden und abwesenden Clowns Furlani, das dem Stück einen reizvollen Ankerpunkt gibt. In Form von Allegorien und Metaphern auf einer höheren Ebene, die in allen Theaterstücken Hofmannsthal eine gewichtigen Rolle spielen. Auch dazu später mehr.
Ein weiterer Kunstgriff ist methodisch-struktureller Natur. Die Sprache Hofmannsthal ist stets zeichenhaft und durchzieht all seine Werke. Beim Jedermann wird dies durch die Einführung allegorischer Figuren vollzogen, die eine dem irdischen Sein weitestgehend entzogene Metaebene "bespielen" und stets zu realen Figuren im Stück antagonistisch angelegt sind.
Beim Rosenkavalier zeigen die Charaktere der handelnden Personen Prinzipien des menschlichen Seins auf; es ließen sich durchaus auch Bezüge zum leidenschaftlichen Reigen im klassischen Götterhimmel des griechischen Olymp herstellen, die auf der Bühne als reale Spielfiguren dessen zeichenhafte Ensprechung finden.
Mit solcherlei Methodik scheint Hofmannsthal förmlich einen Pflock einschlagen zu wollen gegen einen umfassenden Zerfall jener Werten, die sich über zwei Jahrtausende im christlichen Abendland etablieren konnten, und die mit Nietzsches enigmatischen Aufruf "Gott ist todt!" die abendländische Kultur in seinen Grundfesten erzittern lassen würde.
2.) Das Moderne am Bühnenwerk Der Schwierige
Beim Schaffen Hofmannsthals ist bemerkenswert, wie er alle seine Werke mit einem seltsam anmutenden Sprachstil ausgestaltet. Sie biedert sich nicht an, wird nicht geopfert jedwedem modischen Trend zu einer umfassenden Modernisierungsabsicht, die von sich glauben will - ja, förmlich muss! -, mit einer revolutionären technisch-soziologischen Wende eine bessere Welt schaffen zu können! So naiv war Hofmannsthal nicht und wollte daher einen anderen Weg etablieren. Paradigmatisch dafür lässt sich die Gesellschaftskommödie Der Schwierige dafür hernehmen. Und in gewisser Weise darf man Hofmannsthals Ansatz wie oben beschrieben als hypermodern ansehen, mit der er, kulturelle Wurzeln bedenkend, die Sprache gegen den Trend der Zeit abermals mit Poesie anreichert, die gleichzeitig verhüllt und entlarvt, spielt und verspielt, schöpft und erschöpft; dazu das Ganze köstlich mariniert mit bewusst anti-modernistischer Ästhetik.
3.) Schwieriger Sprache auf den Grund fühlen
Nicht der von allen geschätzte Bohémien Graf Brühl wäre imstande glaubhaft das Fortbestehen gesellschaftlicher Ordnung zu entwerfen, nicht der alte Mann, sondern ein viel jüngeres Mitglied jener Gesellschaft, eine weitverzweigte Verwandte, Helene (man denke auch an die Rolle des Octavian im Rosenkavalier). Die junge Helene wird eingeführt in das Stück mit mahnenden Worten zum drohenden Zerfall einheitsstiftender Sprache: »Wir haben alle Ursache, wir jüngeren Menschen, wenn uns vor etwas auf der Welt grausen muß, so davor: daß es etwas gibt wie Konversation: Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen.« (II. Akt, 1. Szene).
Das geniale an Hofmannsthal Entwürfen ist die ungeheure Großzügigkeit, mit der er Sprache an sich entfalten lässt. Und so gelingt es Hofmannsthal in seinen Stücken kritische Distanz zu wahren. Man könnte meinen, Hofmannsthals Sprache moralisiere nie, ließe alles zu; denn gewiss: jedes Geheimnis enthüllt sich quasi in der Verwendung von Sprache selbst. So hinterlassen die Figuren in seinen Stücken Spuren ihrer Sprache, in der sich dahinterliegende Absichten offenbaren, die zwar zu verschleiern und abzulenken versuchen, doch - mal mehr, mal weniger - zu fast monströsen Resultaten führen. Gewissemaßen gehen alle Personen ihrer selbstgewählten Sprache auf den Leim; und folgen - von machtheischerischer Sprache geblendet - ihrem allmählichen Untergang, dem man als Zuseher voyeuristisch und fassungslos zusehen darf, mit welch bedingungsloser Konsequenz diese sich dabei exibitionieren. Ausgenommen Graf Brühl und Helene, denen es zu gelingen scheint, im hintertreibenden Reigen gleichmütig, aber stets pointiert, tenue zu bewahren. Eine zum Geschehen indiffernte Haltung, in der füreinder - und für einen Neuanfang - ein möglicher Ausgang aus tragischem Schicksal versucht werden kann; gerade weil: »Zwei so komplizierte Menschen, das tut kein gut.« (Crecence I. Akt, 3. Szene). Eine geradezu schicksalhafte Notwendigkeit erfüllt sich in jenem befreienden Zufall, dem der Zauber allerln Anfangs innewohnt und der den Impuls zum Ewigen in sich trägt. Bei Hofmannsthal wird dieser schicksalshafte Umstand in einzigartiger Sprache federleicht formuliert:
»HANS KARL ( ... ) Wenn ich an unsern Anfang denke, so ist mir das etwas so Zartes, so Mysterioses, ich getraue mich kaum, es vor mir selbst zu denken. Ich möchte mich fragen: Wie komm’ ich denn dazu? Hab’ ich denn dürfen? Aber
sehr leise
ich bereu’ nichts.
ANTOINETTE
senkt die Augen
Aller Anfang ist schön.
HANS KARL In jedem Anfang liegt die Ewigkeit.«
Worte haben die Eigenschaft zu binden; sobald sie in der Welt sind, ist ein Anfang gesetzt; jedoch mit ungewissem Ausgang, wie Antoinette bald erfahren wird müssen. (Wie anders diese Entwicklung hingegen im Dialog mit Helene! - siehe weiter unten) Hans Karl und Antoinette sprechen nicht mit der gleichen Sprache, weil sich Absichten hinter den Worten Antoinettes verbergen, die kein gemeinsames Ziel haben können. Zwar wäre zum Zeitpunkt ihres Dialogs noch einiges möglich; Notwendigkeiten jedoch verbieten jede weitere zärtliche Annäherung. Darüber hat Hans Karl "draussen" Rechenschaft ablegen müssen:
»HANS KARL In jedem Anfang liegt die Ewigkeit.
ANTOINETTE ohne ihn anzusehen Sie halten au fond alles für möglich und alles für erlaubt. Sie wollen nicht sehen, wie hilflos ein Wesen ist, über das Sie hinweggehen — wie preisgegeben, denn das würde vielleicht Ihr Gewissen aufwecken.
HANS KARL Ich habe keins.
Antoinette sieht ihn an.
HANS KARL Nicht in bezug auf uns.
ANTOINETTE Jetzt war ich das und das von Ihnen — und weiß in diesem Augenblick so wenig, woran ich mit Ihnen bin, als wenn nie was zwischen uns gewesen wär'. Sie sind ja fürchterlich.
HANS KARL Nichts ist bös. Der Augenblick ist nicht bös, nur das Festhalten-wollen ist unerlaubt. Nur das Sich-festkrampeln an das, was sich nicht halten laßt —
ANTOINETTE Ja, wir leben halt nicht nur wie die gewissen Fliegen vom Morgen bis zur Nacht. Wir sind halt am nächsten Tag auch noch da. Das paßt euch halt schlecht, solchen wie du einer bist.
HANS KARL Alles was geschieht, das macht der Zufall. Es ist nicht zum Ausdenken, wie zufällig wir alle sind, und wie uns der Zufall zueinander jagt und auseinander jagt, und wie jeder mit jedem hausen könnte, wenn der Zufall es wollte.
ANTOINETTE Ich will nicht —
HANS KARL spricht weiter, ohne ihren Widerstand zu respektieren Darin ist aber so ein Grausen, daß der Mensch etwas hat finden müssen, um sich aus diesem Sumpf herauszuziehen, bei seinem eigenen Schopf. Und so hat er das Institut gefunden, das aus dem Zufälligen und Unreinen das Notwendige, das Bleibende und das Gültige macht: die Ehe.
( ... )
Das ist eine heilige Wahrheit, die weiß ich - ich muß sie immer schon gewußt haben, aber draußen ist sie erst ganz deutlich für mich geworden: es gibt einen Zufall, der macht scheinbar alles mit uns, wie er will - aber mitten in dem Hierhin- und Dorthingeworfenwerden und der Stumpfheit und Todesangst, da spüren wir und wissen es auch, es gibt halt auch eine Notwendigkeit, die wählt uns von Augenblick zu Augenblick, die geht ganz leise, ganz dicht am Herzen vorbei und doch so schneidend scharf wie ein Schwert. Ohne die wäre da draußen kein Leben mehr gewesen, sondern nur ein tierisches Dahintaumeln. Und die gleiche Notwendigkeit gibt's halt auch zwischen Männern und Frauen — wo die ist, da ist ein Zueinandermüssen und Verzeihung und Versöhnung und Beieinanderbleiben. Und da dürfen Kinder sein, und da ist eine Ehe und ein Heiligtum, trotz allem und allem -«
(II. Akt, 10. Szene)
Entlarvung durch Zuwendung
Allzuschnell wird gerichtet und geurteilt. Die gerichtete Ausgrenzung irritierender Haltungen - Bassessen werden sie hier genannt - schafft Identität. Was sich bis heute zunehmend zu etablieren scheint; Hofmannsthal seziert diese Unart menschlicher Selbstermächtigung genussvoll in seine Einzelteile. Er entlarvt dieses unwürdige Spiel mit der Enthüllung dahinterliegender Absichten der jeweiligen Protagonisten anhand ihrer stets zielorientierten Konversation, die dem Wirken von schöpferischen Zufällen kaum Raum zu schenken vermag.
Kein Protagonist entkommt diesem Zielkonflikt. Und das, weil es wenig opportun erscheint, kritische Zurückhaltung zu üben. Am prägnantsten wird dies an zwei Figuren im Stück exemplifiziert: in der Figur des neuen Dieners Vinzenz und der Graf Theophill Neuhoff. Während Graf Brühl unmittelbar erkennt, dass gegen die Anmaßung Vinzens, der gleich in der ersten Szene vollkommen distanzlos seine Absichten offenlegt, kein Kraut gewachsen ist - "Unmöglicher Mann. Auszahlen. Wegexpedieren!", I. Akt, 5. Szene - scheint er dem anderen, Graf Neuhoff, immerhin eine gewisse Haltung und Stil zuzugestehen (Auftritt Neuhoff im ersten Akt). Schließlich aber wird auch er seiner absichtsvollen Selbstentäußerung erliegen (HANS KARL »Er hat Geist, aber es wird einem nicht wohl dabei.« I. Akt, 13. Szene); Antoinette und Helene weisen ihn schließlich jeweils in eigenen Dialogen deutlich in die Schranken.
4.) Grundlagen zur zeitgemäßen Inszenierung der Komödie
Wollte man dem Schaffen Hugo von Hofmannsthal auch heute noch ein Denkmal setzen, so eignet sich gewiss das spannungsvolle Verhältnis der Glaubenssätze unserer postmodernen Anschauung gegenüber jenem kritisch-gütigem Verständnis von Kunst, die weder mit Skandalisisierung noch Bloßstellung arbeiten muss, um Aufmerksamkeit zu erregen. Der Wirkmacht von allgegenwärtiger Bildsprache heute gegenüber einer eher diskret-aristokratischen Haltung, die sich noch bewusst war über das Heilsame von gütiger Zurückhaltung. Theater jener Zeit galt vor allem der Muße und dem Zeitvertreib einer elitären Schicht, die es heute so nicht mehr zu geben scheint. Das laute Leidenschaftliche hat den Raum zurückerobert von einer allzeit gültig gedachten deszenten Vernunft.
Gegenständlichkeit vs Unbestimmtheit
Ein zeitloses Mantra scheint über dem Bühnenstück, der Schwierige zu schweben, in jener wunderbar zarten Kadenz "Es ist ein Mann, bei dem die Natur, die Wahrheit alles erreicht und die Absicht nichts." (I. Akt, 12. Szene) in der Helene auf die nicht gänzlich uneitle und deshalb auch widersprüchliche Aura des Grafen Brühl hinweist, die dem gesamten Stück seine Triebfeder gibt. Graf Brühl, eine zutiefst melancholische Seele, die jedoch bemerkenswerter Weise nie aufbegehrt, nie richtet, eher Eindrücke aus verschachtelten Konversationen zu sammeln scheint; innerlich zutiefst aufgewühlt infolge einer kurzen, existentiell bedrohlichen "Verschüttung" im Felde, scheint er darob intensiv sehend und fast ein wenig entrückt über dem üblichen gesellschaftlichen Gebahren zu schweben (eine Hofmannsthal'sche Allegorie auf Saulus Damaskuserlebnis?).
Sind es, wie oben dargestellt, im Jedermann allegorische Figuren, im Rosenkavalier in Spielfiguren entwickelte Prinzipien, so entwickelt sich Der Schwierige anhand von Begrifflichkeiten, die sich jeweils im Gebrauch von Sprache offenbaren und die nach und nach eingeführt werden: Absichten, Deszens, Zufall, Wahrheit, Notwendigkeiten, das Bleibende, das Gültige etc. Nicht Vollständigkeit ist wichtig. Allenfalls die Erkenntnis, wie sehr wir mit unserer Sprache zum eigenen Selbst ge- und berufen werden.
Das Spiel des Narren
Ein weiterer feiner Kunstgriff von Hofmannsthal ist die Einführung des dummen August in der Person Furlani, die nur im Gespräch auf der Bühne lebendig wird. Niemand anderes kann damit gemeint sein, als die Verkörperung einer Parsivalfigur. Der reine Tor Wolfram von Eschenbachs auf der Suche nach dem heiligen Gral! Hier verspinnt Hofmannsthal den Geist des ritterlichen Mittelalters mit dem endzeitlichen Anspruch höheren Kunstwesens u.a. im Schaffen Richard Wagners. Aber wie wunderbar leicht wird hier wieder dieses Werk Eschenbachs im Gegensatz zur Erdschwere moderner Auslegung Mitte des 19. Jahrhunderts: "Für mich ist ein solcher Mensch eine wahre Rekreation ( ... ) Er outriert nie, er karikiert auch nie. Er spielt seine Rolle: er ist der, der alle begreifen, der allen helfen möchte und dabei alles in die größte Konfusion bringt, ( ... ) und dabei behält er eine Elegance, eine Diskretion, man merkt, daß er sich selbst und alles, was auf der Welt ist, respektiert, er bringt alles durcheinander, wie Kraut und Rüben; wo er hingeht, geht alles drunter und drüber, und dabei möchte man rufen: »Er hat ja recht!«"
(Hans Karl im II. Akt, 1. Szene)
Der Hofmannsthal'sche Bezug auf das Narrenspiel hat die Wirkung mindestens einer zweifachen Spiegelung. Denn das, was Hans Karl über Furlani sagt, vermeint er in Wirklichkeit über sich selbst. Der direkte Weg über die Absicht erreicht nichts wirklich, führt niemals zur Freiheit des Seins. Sie bindet statt zu entbinden. Erst durch den Zufall fällt uns Freiheit zu (1. Spiegelung). Und was Hans Karl sagt, reklamiert dessen Schöpfer in seinem Schaffen für sich: es fällt auf Hofmannthal zurück! (2. Spiegelung). Der Weg, auf dem wir gehen, vervielfältigt sich über die Spiegelungen. Hofmannsthal sieht sich als Geschöpf seiner Zeit, seines Denkens, seiner Provenienz. Sie findet so ihr Ziel bis hin zum Anfang aller Schöpfung, von der aus alles verflochten ist durch Zufall und Notwendigkeit.
Das göttlich-dämonische Element menschlicher Freiheit
Wie Hofmannsthal in vielen Einzelgesprächen die Figur Graf Neuhoffs sich entwickeln lässt und in deutliche - nie überdeutliche! - Opposition zur Figur Graf Brühl bringt ist meisterhaft. Das dialektische Denken Hegels wird hier mit überaus feiner Klinge seziert; Nietzsches Wille zu Macht im gleichen Atemzug. Neuhoff scheint ebenfalls in gehobener Sprache zu sprechen; und spricht doch eine gänzlich andere Sprache. Sie trieft vor Selbstermächtigung und Selbstmitleid.
Gleich der Beginn des Dialogs zwischen ihm und Helene kündet davon:
Helene mit Neuhoff treten von rechts herein. Man hört eine gedämpfte Musik aus einem entfernten Salon.
NEUHOFF hinter ihr Bleiben Sie stehen. Diese nichtsnutzige, leere, süße Musik und dieses Halbdunkel modellieren Sie wunderbar.
HELENE ist stehengeblieben, geht aber jetzt weiter auf die Fauteuils links zu Ich stehe nicht gern Modell, Baron Neuhoft.
NEUHOFF Auch nicht, wenn ich die Augen schließe?
Helene sagt nichts, sie steht links.
NEUHOFF Ihr Wesen, Helene! Wie niemand je war, sind Sie. Ihre Einfachheit ist das Resultat einer ungeheuren Anspannung. Regungslos wie eine Statue vibrieren Sie in sich, niemand ahnt es, der es aber ahnt, der vibriert mit Ihnen.
Helene sieht ihn an, setzt sich.
NEUHOFF nicht ganz nahe Wundervoll ist alles an Ihnen. Und dabei, wie alles Hohe, fast erschreckend selbstverständlich.
HELENE Ist Ihnen das Hohe selbstverständlich? Das war ein nobler Gedanke.
NEUHOFF Vielleicht könnte man seine Frau werden — das war es, was Ihre Lippen sagen wollten, Helene!
HELENE Lesen Sie von den Lippen wie die Taubstummen?
NEUHOFF einen Schritt näher Sie werden mich heiraten, weil Sie meinen Willen spüren in einer willenlosen Welt.
HELENE vor sich Muß man? Ist es ein Gebot, dem eine Frau sich fügen muß: wenn sie gewählt und gewollt wird?
NEUHOFF Es gibt Wünsche, die nicht weit her sind. Die darf man unter seine schönen rassigen Füße treten. Der meine ist weit her. Er ist gewandert um die halbe Welt. Hier fand er sein Ziel. Sie wurden gefunden, Helene Altenwyl, vom stärksten Willen, auf dem weitesten Umweg, in der kraftlosesten aller Welten.
HELENE Ich bin aus ihr und bin nicht kraftlos.
NEUHOFF Ihr habt dem schönen Schein alles geopfert, auch die Kraft. Wir, dort in unserm nordischen Winkel, wo uns die Jahrhunderte vergessen, wir haben die Kraft behalten. So stehen wir gleich zu gleich und doch ungleich zu ungleich, und aus dieser Ungleichheit ist mir mein Recht über Sie erwachsen.
HELENE Ihr Recht?
NEUHOFF Das Recht des geistig Stärksten über die Frau, die er zu vergeistigen vermag.
HELENE Ich mag nicht diese mystischen Redensarten.
NEUHOFF Es waltet etwas Mystik zwischen zwei Menschen, die sich auf den ersten Blick erkannt haben. Ihr Stolz soll es nicht verneinen.
HELENE sie ist aufgestanden Er verneint es immer wieder.
NEUHOFF Helene, bei Ihnen wäre meine Rettung — meine Zusammenfassung, meine Ermöglichung!
Geübte Sprache in aristokratischer Form (d.h. in höchster Beherrschung, s. Etymologie) verabscheut solche Bedingungen und muss sie daher ausschließen:
HELENE Ich will von niemand wissen, der sein Leben unter solche Bedingungen stellt! Sie tut ein paar Schritte an ihm vorbei; ihr Blck haftet an der offenen Tür rechts, wo sie eingetreten ist.
NEUHOFF Wie Ihr Gesicht sich verändert! Was ist das, Helene?
Helene schweigt, sieht nach rechts.
NEUHOFF ist hinter sie getreten, folgt ihrem Blick Oh! Graf Bühl erscheint auf der Bildfläche! Er tritt zurück von der Tür Sie fühlen magnetisch seine Nähe — ja spüren Sie denn nicht, unbegreifliches Geschöpf, daß Sie für ihn nicht da sind?
HELENE Ich bin schon da für ihn, irgendwie bin ich schon da!
NEUHOFF Verschwenderin! Sie leihen ihm alles, auch noch die Kraft, mit der er Sie hält.
HELENE Die Kraft, mit der ein Mensch einen hält — die hat ihm
wohl Gott gegeben.
NEUHOFF Ich staune. Womit übt ein Kari Bühl diese Faszination über Sie? Ohne Verdienst, sogar ohne Bemühung, ohne Willen, ohne Würde
HELENE Ohne Würde!
NEUHOFF Der schlaffe zweideutige Mensch hat keine Würde.
HELENE Was für Worte gebrauchen Sie da?
NEUHOFF Mein nördlicher Jargon klingt etwas scharf in Ihre schöngeformten Ohren. Aber ich vertrete seine Schärfe. Zweideutig nenne ich den Mann, der sich halb verschenkt und sich halb zurückbehält — der Reserven in allem und jedem hält — in allem und jedem Berechnungen —
HELENE Berechnung und Kari Bühl! Ja, sehen Sie ihn denn wirklich so wenig! Freilich ist es unmöglich, sein letztes Wort zu finden, das bei andern so leicht zu finden ist. Die Ungeschicklichkeit, die ihn so liebenswürdig macht, der timide Hochmut, seine Herablassung, freilich ist alles ein Versteckenspiel, freilich läßt es sich mit plumpen Händen nicht fassen. — Die Eitelkeit erstarrt ihn ja nicht, durch die alle andern steif und hölzern werden — die Vernunft erniedrigt ihn ja nicht, die aus den meisten so etwas Gewöhnliches macht — er gehört nur sich selber — niemand kennt ihn, da ist es kein Wunder, daß Sie ihn nicht kennen!"
(2. Akt, 13. Szene)
Im weiteren Verlauf des Dialogs dieser Szene entlarvt sich die Würdelosigkeit schicksalshaften Denkens. Fast prophetisch nimmt sich die Weitsicht in Hofmannsthals Denken aus. Wir schreiben das Jahr 1921! Die -ismen der Neuzeit (die bereits Nietzsche prophetisch zutiefst verachtete!) sollten sich noch weit tiefer verstricken; niemand kam diesem Entsetzen sprachlich näher als Hugo von Hofmannsthal; erst mit Ödön von Horvaths Jugend ohne Gott würde der letzte Sargnagel in das Fleisch der Geschichte getrieben werden, in dem das Machtvakuum nach dem Zerfall der bestehenden Ordnungen im habsburgischen Fin de Siècle auf den Brettern der Theaterbühnen aufgearbeitet wird. Allegorisch bereits verdichtet in den Gemälden Hans Markarts und ihre Hinfälligkeit feiernd mit dem Abschied von der altehrwürdigen Ringstraßenepoche.
5.) Die reife Beziehung
Denkwürdig auch wie Hofmannsthal das thematisch zentrale Element, nämlich die deszente Liebesbeziehung zwischen dem alternden Graf Brühl und der jugendlichen Helene inszeniert. Das spießbürgerliche Gebahren aller Figuren, die mit ihren selbstbezogenen Absichten in den Konversationen des Stückes hausieren gehen, wird nicht skandalisiert. Statt mit der Moralkeule kraftheischend zu arbeiten - die überlässt Hofmannsthal gerne anderen Autoren jener Zeit (und in seinem üppigen Vermächtnis Autoren unserer Zeit!) - wird hier ohne Bagatellisierung ironiesiert, zart überzeichnet, abgewogen und bis an die Grenzen von Verständnis für gut bewogen; nicht jedoch die Bedeutung absoluter Notwendigkeiten aufrechter Beziehungen in Frage gestellt, sondern klar umrissen. Diese Notwendigkeit definiert sich in einem Wort: Verbindlichkeit. Das Wort muss nicht fallen; es wird in ungemein dichter Sprache umschrieben.
Und so entspinnt sich im Netz der Begrifflichkeiten ein amüsantes Verwirrspiel, in dem alle viel verstanden zu haben meinen, wenige jedoch Erkenntnis über dieses vergebliche Bemühen erlangen. Im Schwierigen bleiben schließlich die beiden Hauptfiguren Hans Karl und Helene übrig, die sich eben dadurch, dass sie sich ihre vermeintlichen Schwächen zugestehen (wenngleich dies der jeweils andere ganz anders sehen würde), zueinanderfinden. Dass es am Ende Helene sein wird, die das Zepter des Handelns in die Hand nimmt, können die Neuhoffs unserer Zeit sich bestenfalls wünschen; es wird nicht geschehen. Das distinguierend-enthaltsame Wesen Hans Karl allerdings fordert es geradezu heraus.
Die achte Szene im dritten Akt, in der die Spielfiguren wie von magischen Kräften ineinander gezogen werden, kündet davon. Nichts daran ist frivol; die pornographische Zeit noch fern, aufgeladen mit feiner Erotik wirkt das Treffen allemal. Helene entkleidet sich (macht sich wahrhaftig) gleich zu Beginn, bleibt sprachlich jederzeit aber bestimmt und würdevoll.
Helene ist durch die unsichtbare Tür links herausgetreten, im Mantel wie zum Fortgeben. Sie wartet, bis Crescence und Stani sie nicht mehr, sehen können.
Gleichzeitig ist Flans Karl durch die Glastür rechts sichtbar geworden; er legt Hut, Stock und Mantel ab und erscheint. Helene hat Hans Karl gesehen, bevor er sie erblickt hat. Ihr Gesicht verändert sich in einem Augenblick vollständig. Sie läßt ihren Abendmantel von den Schultern fallen, und dieser bleibt hinter der Treppe liegen, dann tritt sie Hans Karl entgegen.
HANS KARL betroffen Helen, Sie sind noch hier?
HELENE hier und weiter in einer ganz festen, entschiedenen Haltung und in einem leichten, fast überlegenen Ton
Ich bin hier zu Haus.
HANS KARL Sie sehen anders aus als sonst. Es ist etwas geschehen!
HELENE Ja, es ist etwas geschehen.
HANS KARL Wann, so plötzlich?
HELENE Vor einer Stunde, glaub’ ich.
HANS KARL unsicher Etwas Unangenehmes?
HELENE Wie?
HANS KARL Etwas Aufregendes?
HELENE Ah ja, das schon.
HANS KARL Etwas Irreparables?
HELENE Das wird sich zeigen. Schauen Sie, was dort liegt.
HANS KARL Dort? Ein Pelz. Ein Damenmantel scheint mir.
ff.
Aphorismen und besondere Textstellen aus Der Schwierige
«... er kennt nichts Eleganteres als die Art, wie du die Menschen behandelst, das große air, die distance, die du allen Leuten gibst — dabei die komplette Gleichmäßigkeit und Bonhomie auch gegen den Niedrigsten — aber er hat natürlich, wie ich auch, deine Schwächen heraus; er adoriert den Entschluß, die Kraft, das Definitive, er haßt den Wiegel-Wagel, darin ist er wie ich!»
I. Akt, 3.Szene S. 18
»Mir kommt bei Konversationen auf die Länge alles sogenannte Gescheite dumm und noch eher das Dumme gescheit vor ...«
I. Akt, 3.Szene S. 23
»Eine kleine Dosis von Unwahrheit ist den Frauen sehr sympathisch.«
I. Akt, 13.Szene S. 46
»CRESCENCE Ich find’ die berühmten Männer odios, aber ihre Frau’n noch ärger. Darin bin ich mit dem Kari einer Meinung. Wir schwärmen für triviale Menschen und triviale Unterhaltungen, nicht Kari?
ALTENWYL Ich hab’ darüber meine altmodische Auffassung, die Helen kennt sie.
CRESCENCE Der Kari soll sagen, daß er mir recht gibt. Ich find’, neun Zehntel von dem, was unter der Marke von Geist geht, ist nichts als Geschwätz.
NEUHOFF zu Helene Sind Sie auch so streng, Gräfin Helene?
HELENE Wir haben alle Ursache, wir jüngeren Menschen, wenn uns vor etwas auf der Welt grausen muß, so davor: daß es etwas gibt wie Konversation; Worte, die alles Wirkliche verflachen und im Geschwätz beruhigen.
CRESCENCE Sag, daß du mir recht gibst, Kari!
HANS KARL Ich bitte um Nachsicht. Der Furlani ist keine Vorbereitung darauf, etwas Gescheites zu sagen.
ALTENWYL In meinen Augen ist Konversation das, was jetzt kein Mensch mehr kennt: nicht selbst perorieren, wie ein Wasserfall, sondern dem andern das Stichwort bringen. Zu meiner Zeit hat man gesagt: wer zu mir kommt, mit dem muß ich die Konversation so führen, daß er, wenn er die Türschnallen in der Hand hat, sich gescheit vorkommt, dann wird er auf der Stiegen mich gescheit finden. - Heutzutag hat aber keiner, pardon für die Grobheit, den Verstand zum Konversationmachen und keiner den Verstand, seinen Mund zu halten - ah, erlaub’, daß ich dich mit Baron Neuhoff bekannt mache, mein Vetter Graf Bühl.
( ... )
ALTENWYL Die Edine ist eine sehr gescheite Frau, aber sie will immer zwei Fliegen auf einen Schlag erwischen: ihre Bildung vermehren und etwas für ihre Wohltätigkeitsgeschichten herausschlagen.
HELENE Pardon, Papa, sie ist keine gescheite Frau, sie ist eine dumme Frau, die sich fürs Leben gern mit gescheiten Leuten umgeben möchte, aber dabei immer die falschen erwischt.
CRESCENCE Ich wundere mich, daß sie bei ihrer rasenden Zerstreutheit nicht mehr Konfusionen anstellt.
ALTENWYL Solche Wesen haben einen Schutzengel.«
II. Akt, 1.Szene S. 57f
»HELENE zu Hans Karl Sie haben ihn so gern, den Furlanı?
HANS KARL Für mich ist ein solcher Mensch eine wahre Rekreation.
HELENE Macht er so geschickte Tricks? Sie setzt sich rechts, Hans Karl neben ihr.
HANS KARL Er macht gar keine Tricks. Er ist doch der dumme August!
HELENE Also ein Wurstel?
HANS KARL Nein, das wäre ja outriert! Er outriert nie, er karikiert auch nie. Er spielt seine Rolle: er ist der, der alle begreifen, der allen helfen möchte und dabei alles in die größte Konfusion bringt. Er macht die dümmsten »lazzi«, die Galerie kugelt sich vor Lachen, und dabei behält er eine Elegance, eine Diskretion, man merkt, daß er sich selbst und alles, was auf der Welt ist, respektiert, er bringt alles durcheinander, wie Kraut und Rüben; wo er hingeht, geht alles drunter und drüber, und dabei möchte man rufen: "Er hat ja recht!"«
II. Akt, 1.Szene S. 59
ANTOINETTE Wenn man nur das Raffinement von der Helen hätt’, die lauft ihm nach auf Schritt und Tritt, und dabei schaut’s aus, als ob sie ihm aus dem Weg ging.
( ... )
Wenn die Helen in meiner Situation wär’, die wüßt sich zu helfen. Sie macht sich mit der größten Unverfrorenheit einen Paravent aus dem Theophil, und dahinter operiert sie.
( ... )
So bleibt’s doch hier, so gebt’s mir doch einen Rat, so sagt’s mir doch, was ich tun soll.
HUBERTA Die Crescence kommt. Nimm dich zusammen.
ANTOINETTE vor sich Lieber Gott, ich kann sie nicht ausstehen, sie mich auch nicht, aber ich will jede Bassesse machen, weil sie ja seine Schwester is’.
II. Akt, 3.Szene S. 67f
Weiteres Quellmaterial:
Im Kulturbetrieb wird zuviel Moral gepredigt - Roman Bucheli NZZ vom 19. April 2024
«Solche Bücher, die uns glücklich machen», so schrieb Franz Kafka dem Freund Oskar Pollak im Januar 1904, «könnten wir zur Not selber schreiben.» Doch wer braucht schon so etwas? «Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?», so Kafka in seinem Brief. Will heissen: Wozu brauchen wir Kunst oder Literatur, wenn sie uns nicht herausreissen aus unseren Denk- und Sehgewohnheiten, wenn sie uns nicht einen anderen Blick lehren?
Gewiss, das war zu Zeiten rigider Moralvorstellungen und Weltbilder einfacher. Ben Vautier würde heute mit seinem schlichten Satz kaum mehr eine Debatte auslösen, höchstens heftiges Kopfnicken oder energisches Stirnrunzeln. Die Gegenwart scheint nicht gemacht zu sein für die Subtilitäten des Kunstschaffens. Sprich: Reibung entsteht heute: nicht dort, wo Künstler mit ihren eigenen Mitteln arbeiten, mit den Ambivalenzen der Sprache oder mit dialektischer Selbstbefragung erstarrter Bilder. Der Kulturbetrieb hat sich - man vergebe mir die Vereinfachung - zweigeteilt. Hier die ausgeruhten Werke, die uns glücklich machen können, wie es Kafka nannte, und die wir nicht wirklich brauchen und die wir, wenn wir sie brauchten, notfalls auch selber zustande brächten. Und dort die Aktivisten, die eine Agenda verfolgen; die jenseits aller künstlerischen Mehrdeutigkeit ein einfältiges Weltbild propagieren. Sie wissen, wer die Bösen und die Dummen . sind, wo die Täter und wer die Opfer sind. Sie haben die Moral, ihre Moral, auf ihre Fahnen geschrieben. Man konnte das in den letzten Jahren am hiesigen Schauspielhaus in manchen Produktionen erleben. So erhielt das Publikum unlängst in Frischs «Biedermann und die Brandstifter» eine volkspädagogische Belehrung vorgesetzt, in der sich die Moral zur Überlebensgrösse aufblies, während die schon bei Frisch etwas dünn angelegte künstlerische und intellektuelle Substanz noch weiter aus| gedünnt wurde. | Doch was aktivistischer Opportunismus in der Kunst bedeutet, wurde einem nirgends in jüngster Zeit so drastisch und mit brutaler Konsequenz vor Augen geführt wie an der letzten Documenta in Kassel. Von Hakenkreuzen bis zu antisemitischen Emblemen wurde ein breites Arsenal an einschlägigen Parolen aufgeboten, um einen Standpunkt zu markieren, der längst jenseits der vom Grundgesetz garantierten Redefreiheit lag.
Dass sich nur allmählich und fast widerwillig Protest regte und gegen die despotischen Manifestationen im Namen der Kunst vorgegangen wurde, ist das eine; dass kaum jemand an der künstlerischen Armseligkeit dieser Artefakte Anstoss nahm, das andere. Es zeigte sich eine eklatante Schwäche im Umgang mit Kunst: Kaum einer mehr wagt sich aus der Deckung und benennt schlechte Kunst als solche - wenn denn die Urteilsfähigkeit in diesen Dingen überhaupt noch vorhanden ist. ( ... ) Zu viel Moral, manche würden sagen: Moral überhaupt hat der Kunst schon immer geschadet. Wer für das Gute kämpft, soll nicht in die Kunst gehen. Dafür gibt es NGO. Aber Kunst sollte wieder im emphatischen Sinn des Wortes unmoralisch werden. Sie kann es sein, wenn sie sich ihrer Gewissheiten entledigt und auf einfache Antworten oder plakative Bilder verzichtet. Dann kann ein Buch oder ein Bild «die Axt sein für das gefrorene Meer in uns», von der Kafka in seinem Brief an Pollak ebenfalls schreibt.
Darin liegt eines der grossen Kunstmissverständnisse: Es könne nur das Laute oder Schrille, das Obszöne oder Verbotene jene ästhetische Erfahrung hervorbringen, die auch eine existenzielle Erschütterung auszulösen vermag. Dabei trifft das Gegenteil zu: wenn etwa ein leises Stottern auf der Bühne bohrende Selbstzweifel andeutet, die sich im Innenohr zum Sturm entfachen. Auch Beethoven ist mitunter da am erschütterndsten, wenn er fast verstummt. Und kaum einmal wird die Verletzlichkeit des Menschen deutlicher als in Giacomettis filigranen Skulpturen oder in Marina Abramovics Performances.
Der Moral wird hier nicht gratis mitgeliefert. Sie liegt im Auge des Betrachters. Sie entsteht da, wo das Werk den Betrachter herausreisst aus seinen Gewohnheiten, aus seinem Denken, wo es ihn herausfordert, selber zu denken.»
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