Der Herr Christian

Es gibt ihn noch. Den Herrn Ober, genauer: den Wiener Herrn Ober, der hier in dieser Stadt weit mehr ist als nur ein eilfertiger Servierer von Speisen und Getränken in Gaststätten. Weltweit bekannt ist er in seiner stilvollen Attitüde. Beflissen, stets reserviert. Gerüstet mit gesundem Schmäh, das ja, den schmalen Grad jedoch zum "Goscherten", wie es im hiesigen Idiom so treffend heißt, auf elegantem Wege meidend. Nie laut. Selten zu schnell. Die Zeit darf gemächlicher vergehen im Wiener Kaffeehaus. Der Herr Ober ist ein Wiener Kulturgut. 

Und man erlebt ihn im Café Dommayer in Hietzing. Hatte man das Vergnügen Herrn Christian, in seiner Dienstkleidung eine stets ebenso wichtige wie formvollendete Erscheinung, zu erleben, dann war man als Gast in Kürze fasziniert davon, mit welcher nonchalanten Gelassenheit und selbstverständlicher Heiterkeit man von ihm bedient wurde. Jeder Handgriff saß. Jede Einlassung auf die Wünsche des Gastes kultivierte Emphatik. Nie unnötig devot, immer mit forschem Humor, Gestik und Mimik weder angestrengt beherrscht noch zu salopp. Ein wahres Wunder an Ausgewogenheit. Jetzt allerdings muss er Abschied nehmen.

Man nahm es als ruhender Gast allzu gern als Selbstverständlichkeit hin, dass am Tisch nie auch nur ein Hauch von körperlicher Beschwerlichkeit bei Herrn Christian zu spüren war. Zuletzt jedoch konnte man es sehen: Christians Gang trotz Jugendlichkeit einen Deut verhaltener als gewohnt. Aber auch hier: formvollendete Contenance trotz unbarmherziger Schmerzen, wie uns von Kollegen Herrn Christians zugetragen wurde.

Wie oft war es an unserem wie an anderen Tischen in der Nähe zu hören: "War alles zu Ihrer Zufriedenheit, meine Lieben?" Was für eine selbstgewisse Anrede für einen Gast! Meine Lieben! Das Selbstverständnis, mit der Herr Christian mit feinsten Nuancen der Kommunikation förmlich jonglierte; Balsam im lauten und hastigen Alltag. Und Bonmots mit stets hoher Trefferquote.

In Herrn Christians Bewegung schien immer der Wunsch enthalten, das Vergehen der Zeit zu verlangsamen. Den Augenblick für den Gast noch kostbarer machen. Nicht, dass er deshalb langsam gewesen wäre. Jedoch nie hektisch oder gar ungeduldig. Und aufmerksam war er! Nichts schien ihm zu entgehen. Sollte die Bestellung einmal nicht vollständig serviert sein, lieferte Herr Christian das Fehlende in Ruhe und innewohnendem Selbstverständnis nach, dass sich der Gast fragen durfte, ob nicht vielmehr eine lässlich aufgegebene Bestellung die Herkunft des Versäumnisses war. 

Einmal, als ein Gast zu seinem Cappuccino nach ein wenig Obers verlangte, war zu beobachten, wie Herr Christian die Sache selbst in die Hand nahm und mit präziser Eleganz liebevoll ein kleines Mandala in den Milchschaum zauberte. Der Gast konnte sich eine gefühlte Ewigkeit nicht überwinden, das Getränk seiner eigentlichen Bestimmung zuzuführen. Fürchtete er, dass er sich andernfalls ein lautes „Sie Banause!“ aus dem Saal hätte anhören müssen?

Kein Gast wird sich je daran erinnern können, dass etwa eine vom Gast spitzfindig lancierte, kritische Äußerungen die Arbeitsweise von Herrn Christian betreffend, dieser nicht höchstselbst dem leichtsinnigen Defätisten zu Speis und Trank eine wohlfeile "Retourkutsche" in gütigem Tone servierte! Ein heiteres Ping-Pong der Worte. Das gewinnbringende Ende meist auf Seiten Herrn Christians. Selbst im indignierten Schweigen ein Meister! 

Trug es sich einmal zu, dass ein Gast den halben Tag in Dommayerschen Räumlichkeiten verlor, was häufig vorkomme, wie dort erzählt wird, durfte er damit rechnen, angemessen von Herrn Christian verabschiedet zu werden. "Gehn's Herr........., bringen's doch bitte morgen an Meldezettel mit. Wir sind angehalten, bei Besuchen in der Länge eines Arbeitstages den Gast bei uns anzumelden!" Keine Miene verriet dabei Herrn Christians spitzbübische Freude, die seinen Worten ganz sicher innewohnen musste. Im Außen gewährende Angemessenheit in perfekter Manier! 

Neulich kam er an unseren Tisch, bedeutsam, mit ernster Miene. "Wollen Sie eine WIRKLICH traurige Nachricht hören?" Diskret lange Pause. "Der kommende Sonntag wird bedauerlicherweise mein letzter an den Tischen!" Ungläubigkeit! Ratlosigkeit! Angesichts der Betroffenheit in den Augen und Worten seiner Gäste schien Herr Christian einen winzigen Moment zu wanken und eine flüchtige Träne vermeinte man in die Augen zu erkennen. Nicht zu viel, nicht zu wenig. In rechtem Maße, wie gewohnt. So war er der Herr Christian. Ein großer Verlust für den Gast. Hoffentlich ein kleiner nur für ihn! Die tägliche Melange wird in nächster Zeit im Dommayer nicht mehr ganz so gut munden. Sie werden uns fehlen, lieber Herr Christian! 

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