Hülle und Kern; Einheit in der Vielzahl (in Entstehung)

Suche ich Ruhe in der so geschäftigen Stadt, dann übergebe ich mich gern der bedächtigen Stille eines Kirchenraumes. Die mir geliebte Mittagsmesse im Stephansdom allerdings ist begleitet vom geräuschvollen Strom der Touristen, die zu Tausenden in die Kathedrale strömen und sie rasch, nach allzu hastigen Blicken, wieder verlassen. Wie anders hingegen die Stille zu Mittag in der Lainzer Konzilsgedächtniskirche!

"Vielmehr habe ich besänftigt, habe zur Ruhe gebracht meine Seele. Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir", heißt es im Psalm 131 Vers 2. Die "Besänftigung" des Innersten, in dem uns göttliches berührt und das dieser Vers besingt; mir gelingt er in Wien nirgendwo besser als in der Kirche am Kardinal-König-Platz im Wiener Bezirk Hietzing.

Beim ersten Betreten des weiten Zentralbaus quadratischer Zurichtung mag man zunächst ein wenig irritiert sein; zu sehr weicht der Bau, augetürmt aus massiven Quadern aus rauhem Beton, von der Gewohnheit eigener Vorstellungen ab, wie Kirche zu "sein hat". Förmlich im Wesen von Giganten aufeinander geschlichtet, umfassen die Quader einen lichten weiten Raum, der wie zum Trotz seltsam leicht gefügt erscheint. Bilder aus der Kindheit, in dem das unschuldige Schlichten von Baumklötzern doch noch so vertraut war. Unbefangen wie das Spiel mit Worten, die zunächst noch keinen umfassenden "Sinn" ergaben und uns deshalb im Innersten so unbefangen zu berühren vermochten?.

Das erste Unbehagen gegenüber dem rauhen, kalten Material von Beton, Stahl und klarem Glas, das den Kirchenraum einfrieden, wird alsbald von der Behaglichkeit und Wärme im beigen Ton des weithin in den Raum gespannten Teppichs eingefangen; und steht doch weiterhin im Widerspruch zueinander. Als eine Art Faszinosum, das im Mysterium des Raum-Zeitgeschehens aufzugehen scheint. Der Blick geht sodann nach oben zum Licht. Das Dach, fast wie ein Gegenstück zum Boden des Raumes, ausgespannt mithilfe eines leichten Stahlgerippes, kommt zum Schweben über dem Kircheraum. Es ist geschlossen und doch auch offen hin zum allumfassenden Himmelsgewölbe. Da der Besucher im Raum ausschließlich in Berührung kommt mit weichen Materialien - dem Flor des Teppichbodens, dem Holz auf den Gebetsbänken, beginnt die "Besänftigung" höchst leiblich, fast lieblich ("Die Messeschnur fiel mir auf liebliches Land. * Ja, mein Erbe gefällt mir" Psalm 16, Vers 6) und begegnet so der archtektonischen Strenge, ausgeführt in Zahlenverhälnissen von Raumordnung. 

Die Zahlen drei und vier. Die Vier bestimmt den Raum. Vier Seiten, Vier Zugänge an vier Ecken. Vier Tore ausgerichtet zum Diesseits und zum Jenseits ; das Haupttor nach Osten zum Platz hin zur Stadt, im Westen die Türen zur Sakristei, und symbolisch eingefügt am Ort des Taufbeckens die Tore über die Taufe hin zum Allerheiligsten auf der Gegenseite, an dem das ewige Licht leuchtet. Die Zahl drei im Ordnungsystem an Wänden und Seiten vervollständigt den Raum und führt hinüber ins Heilige. Das Mysterium der Trinität, der Dreieinigkeit in Gott, in die Heiligkeit der Familie, Vater, Mutter, Kind, in die Triade von ursprünglicher und jenseitigen Begegnung; ("Wo zwei von Euch sind, bin ich mir Ihnen") Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist. Aus drei und vier entsteht die heilige Zahl Zwölf; man muss nicht rechnen, sie offenbart sich aus sich selbst heraus. Zwölf Stämme Israels, zwölf Apostel.

Aus den Grundzahlen drei und vier, "erzählt" durch Raumkonfiguration, ergiebt sich immer zwölf. Der Ursprung jedoch ist eins. Ein Altar, ein Kreuz, ein Tabernakel, eine Laterne, eine Kirche, ein ewiges Licht. Aus der Einheit Gottes erwächst im tiefen Sinnen Trinität, die Vielheit einer, christlichen, dreipersonalen Gottheit; Gott Vater, Gott Sohn und der Heiliger Geist. Die Hülle aus einem "himmlischem Jerusalem" ist hier in Raum gegossen, und strebt von hier hinaus in seine Essenz, in seinem Kern; zum Licht der Ewigkeit.

Der umherschweifende geistige Blick zählt und empfängt die Ruhe in der "Einheit" der sich wiederholenden Zahlen. Vieles noch will sich erschließen, sobald man dort zur Ruhe kommt. Man muss sie nur suchen. Einfacher noch: man folge dem Ruf ("Höre, Israel"). Und lasse sich zur Ruhe rufen.

Und dann plötzlich:  Unruhe. Im Horizont des Altars hängt dort seit einiger Zeit ein Tafelbild, wie ein Vorhang zum Allerheiligsten, ganz wie einst im 1. Tempel Jerusalems ..., das einmal im Jahr vom Hohepriester betreten werden durfte. Die Unruhe entsteht im Herzen. Im Herzen der Erkenntnis. Das Alte Testament wird hier in Raum und Zeit symbolhaft "aufgeführt". Die ewig einzige "Partitur" ("der Herr, dein Gott ist einzig"), die überall nur einmaligen Ursprungs ist, und doch stets aufs Neue "aufgeführt" werden will, damit sein Ursprung nicht in Vergessenheit gerät. Und sich doch erst in der Vielzahl schlussendlich manifestieren wird. Aus der Vielzahl entsteht Einheit; in Einheit entfaltet sich Vielzahl.

Im Tafelbild selbst, lässt sich ein weißer luzider Nebel erkennen, der sich auf eine kristalline Landschaft legt, wie das eine Licht, das sich wie durch ein Prisma gegossen, in seine Vielzahl zerlegt. Aus dem Nebel kommt das Licht. Alles verbindend und durchdringend, der Atem des Nebels, der bereits Vergangebheit ist und doch immer gleichzeitig in die Zukunft weist und sie verheißt. Und dereinst alles wieder vereinen wird, was einst einmal zum Leben erweckt worden ist. Die erste Unruhe im Bild wird besänftigt durch die ewige Anwesenheit seines Schöpfers. Und die Seele ist ruhig geworden in mir.





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