Rausch der Geschwindigkeit

Vor rund 20 Jahren befanden wir uns im Rausch der Jahrtausendwende. Zeitenwenden wollen meist als markante Punkte, oder mit Christi Geburt gar als Zeitenwende, wahrgenommen werden. Man blickt zurück. Man blickt nach vorn. Das Leben gefriert zu einem Moment der Betrachtung, die die Zeit still stehen lassen möchte. Oder könnte. Jetzt, 20 Jahre später, lässt sich spüren, dass es tatsächlich im Geschehen der Geschichte Zeitenwenden geben muss. Oben genannt Christi Geburt. Das Recht auf Menschenwürde, eine in der jüdischen Thora "Gerechtigkeit vor Gott" genannte Utopie wird verkündet. Zwei Jahrtausende,  später wird in dieses Recht als individuelle, unverletzliche "Würde des Menschen" gegen absoluten Machtanspruch in die Präambel der UN-Charta als verpflichtend für alle Völker aufgenommen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des "Eisernen Vorhangs", schienen staatliche Ideologien ausgedient zu haben. Das "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama) wurde postuliert. Ein wirtschaftsliberales Zeitalter sollte anbrechen, die Völker in Wohlstand und Frieden miteinander Handel treiben. Spätestens mit dem Ukrainefeldzug der Russen war die utopische Illusion wieder zerstört. In China, schon bald vielleicht auch im indischen Subkontinent, entstehen neue, globale Machte, die gegen die westliche Weltordnung Aufbegehren. Geschichte geht also doch weiter.

Erst ein halbes Jahrhundert ist es her, dass quasi aus heiteren Himmel das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, die Illusion vom grenzenlosen (Wirtschafts)Wachstum, in Frage gestellt war. Heute sind wir mitten im menschengemachten Klimawandel angekommen. Der Wohlstand ist bedroht, der Weltfrieden erneut Utopie.

Zweihundert Jahre ist es bald her, in der diese Entwicklung ihren Anfang nahm. Fünfhundert Jahre ist es schon her, dass uns die Aufklärung aus der "Selbstverschuldeten Unmündigkeit" eines im Rückblick recht "dunklen Zeitalters", dem Mittelalter, ans "Licht" zu führen gedachte. Das scheint gelungen, wirft doch unser blaue Planet auch nächtens helles Licht bis ins Universum hinaus. Befeuert wurde das Licht zunächst im "Denken", schon bald darauf aber endlich mit Ausbeutung fossiler Energie auch im Tun. Nicht mehr der Natur müssen "Früchte" in schwerer Arbeit abgerungen werden, mit scheinbar müheloser Maschinentätigkeit setzt menschliche Kultur atomare Energie in ungeahnter Menge frei.

Es trat in den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts ein Prophet auf, Paul Virilo, der den Rausch an exponentiellem Wachstum an Geschwindigkeit beklagte. Er nannte diese Ideologie markant "Dromologie" (s. Wikipedia https://de.m.wikipedia.org/wiki/Dromologie:

"Virilio sieht Geschwindigkeit als verborgene Seite von Reichtum und Macht und damit als entscheidenden Faktor, der die Gesellschaft bestimmt. Geschichtliche Epochen und politische Ereignisse werden unter diesem Blickwinkel zu Geschwindigkeitsverhältnissen. Seines Erachtens vernichtet die Geschwindigkeit den Raum und verdichtet die Zeit. Dies sei das verhängnisvollste Phänomen des 20. Jahrhunderts.")

Eingangs wurde die Behauptung aufgestellt, dass sich vor allem an den Wegmarken der Geschichte,zu Zeitenwenden, erkennen lässt, wohin die Reise der menschlichen Existenz gehen wird. An der Schwelle zum 3. Jahrtausend p.C. sollten wir zu unterscheiden gelernt haben, was in der Vergangenheit kulturell angemessen und gut war, und was, für die Natur unangemessen, überzogen und deshalb nicht gut war.

Vor zweit Jahrtausenden schien das jüngste Gericht laut Offenbarung des Johannes unmittelbar bevor zu stehen. Zweitausend Jahre danach sind wir so klug wie zuvor. Der Untergang steht auch heute unmittelbar bevor. Was werden unsere Kinder und Kindeskinder in abermals zweitausend Jahren denken und vorhersagen? Es wird Propheten geben, die den Untergang, der auch fann unmittelbar bevorsteht, sich vorherzusagen bemüßigen. Ihnen sollte man zutiefst misstrauisch begegnen. Weil sie darauf bestehen, weiterhin an das Ende von Geschichte glauben zu müssen. Und unsere eigenen Ängste auf sich nehmen. Wir sollten Ihnen deshalb auch in Dankbarkeit begegnen. Die Zukunft hat mit Ihnen erst begonnen. Dann einmal, später, in zwei Jahrtausenden.



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