frauJEDERmann wurde zu Grabe getragen? Ist sie deshalb gleich tot?

Die letzte Aufführung der frauJEDERmann ist bereits Vergangenheit. Sie wurde von uns feierlich zu Grabe getragen. Noch lange nicht ist sie deshalb tot. Sie lebt weiter in uns fort, die wir sie lieben lernen durften, indem wir uns ihrem "Geist" aus Herz und Mund und Tat und Leben anvertraut haben. 

Jetzt kommt die Zeit der Besinnung. Was bleibt uns von dieser großartigen Partitur des Stückes? Was bleibt von der Inszenierung, ihrer hymnischen Vertonung, ihrer Leiblichkeit, der wir auf der Bühne Form und Gestalt gaben, indem wir sie zur Aufführung brachten? Bevor unser nächstes Stück dem gleichen Prozess anheimfallen wird.

Die Wiederaufnahme der frauJEDERmann hinterlässt in mir einen recht ambivalenten Eindruck. Einerseits wieder das erhebende Gefühl im Dialog von Figur und Publikum. Im Hier und Jetzt des Augenblicks. Jedoch das große Faszinosum aus dem vergangenen Jahr hatte sich mir nicht mehr wirklich einstellen wollen. Zwar hatte ich mich im Spiel selbst schon noch dazu aufraffen können, die Figur erneut mit Leben auszufüllen, aber es bedurfte wesentlich größerer Anstrengung als bei seiner ersten Aufführung. Ein zweiter Kuss ist immer noch kein Alltag, aber es ist eben kein erster mehr. Ich will ich im Folgenden Gründe dafür in Erwägung ziehen.

Ich hatte mich im zweiten Aufguss der Figur bereits zu sehr bemächtigt; im vergangenen Jahr noch fühlte ich mich gegenüber ihrem Anspruch mit meinen persönlichen Fähigkeiten weit demütiger. Letztes Jahr durfte ich mich in einem fortschreitenden Prozess von Aneignung der Figur "frei" spielen. Dieses Jahr war dies unnötig; ich fühlte mich bereits weit unabhängiger von der "Macht der Figur". Und es kam, wie es kommen musste. Als ökonomisch handelnder Mensch versuchte ich mit nur noch 20% Energie um 80% des möglichen Erfolgs zu verbuchen. Im vergangenen Jahr noch war dieses Verhältnis geradezu umgekehrt.

Was wäre notwendig gewesen, um das ursprüngliche Verhältnis aufrecht zu erhalten? Bei gleicher Inszenierung etwa durch eine Intensivierung meiner persönlichen Absichten zur Darstellung dieser bereits bekannten Figur? Oder die Erarbeitung im Spiel einer anderen, oder auch anders angelegten Figur? Die Bequemlichkeit in der Sicherheit von "Gewohntem" war dem Team deutlich anzusehen. Viele im Team werden dies vermutlich ebenso wahrgenommen haben. Weniger das Publikum betreffend, das ähnlich gut mitgenommen werden konnte, wie es der Applaus gezeigt hat. Die Dialoge aber gerieten uns zusehends weniger "tief"; als Spieler kannte man den Ablauf, die Reaktionen im Spiel wurden "absehbar" und damit weniger lebendig. "Seid allesamt willkommen sehr, / erweist mir heut die letzte Ehr!". Statt dem Erstaunen über diesen seltsamen Spruch der frauJEDERmann auf der Bühne Raum zu geben, kam die Gegenfrage des 1. Fräuleins, "Das ist ein sonderlicher Gruß", wie aus der Pistole geschossen. Welchen Raum beansprucht diese Szene doch im Regiebuch?


FRAU JEDERMANN 2
"Seid allesamt willkommen sehr,
Erweist mir heut die letzte Ehr."

TISCHGESELLSCHAFT 
raunend und murmelnd nicht elektronisch verstärkt.
Wie, was, bitte, Das meint sie jetzt nicht ernst - oder? Was soll. Ich dachte wir feiern heute? Geht es ihr gut? Das musst dich auch trauen ...

FRAU JEDERMANN 2
überrascht, da sie erkennt, dass sie da etwas Falsches gesagt hat (Was war das? Warum sage ich das?)

ERSTES FRÄULEIN
Vom Schoß des ERSTEN GASTS aufstehend
"Das ist ein sonderlicher Gruß."

Der Resonanzraum zum "Auschöpfen" dieser Szene; wie sehr wurde er letztlich beschnitten! Aber in jede Szene, in jeder Rolle hatten sich Nachlässigkeiten eingeschlichen. Die große Luft war draussen, die Zwischenräume, die dem Spiel Luft und Dynamik geben, waren bereits mit eingespielten Routinen besetzt und entsprechend luftleer. Es fehlte an Modulation im Tempo von Dialogen und an den jeweiligen "Tonhöhen" in ihnen. Routinen rauben jedem Liveact Leichtigkeit! Derhalb gilt es unbedingt, vor allem bei Wiederaufnahmen, diesbezüglich Zeit und Mühen zu investieren. 

Ich plädiere dafür, den Fokus umzudrehen. Nicht das Publikum ist gefragt mitzutun; wir Schauspieler sind gefragt mitzureißen und fortzureißen. Uns selbst zuallererst. Und durch uns wieder das Publikum. Statt zum Beispiel mich die Rolle vom TOD nochmals aufführen zu lassen, hätte man mir die Rolle von Gesell oder Teufel, selbst Buhler, anvertrauen können, ich hätte 120% meiner Energie gegeben, mich zur Erarbeitung dieser Figuren hinzugeben! Mich in der Rolle des TOD mit intensivem Sprachtraining oder Schauspielunterricht weiterzubringen, hätte 80% mehr Energie gefordert um 20% kaum wahrnehmbaren neuen Vermögens auf der Bühne zu garantieren. Ein rechtes Missverhältnis, wie ich meine.

Es waren auch Nachlässigkeiten gegenüber unserem persönlichen Aufwand, vor allem dem des Regieteams. Marcus, richtig verstanden, scheute zu Recht die Mühe und Last weiterer Proben beim Versuch einer Neuausrichtung des Stücks oder etwaiger Rollenwechsel (und sei es wenigstens der Wechsel in gleicher Rolle in das andere Team). Es ließen sich aber ganz sicher im Team Personen finden, die sich für Regiearbeiten an gewissen Szenen einbinden lassen oder ihr erarbeitetes Rollenprofil mit dem Vermögen anderer Schauspielern zu messen und zu proben. Zumal die gelungene "Übergabe" einer Rolle eine schöne Abrundung zum Rollenspiel böte.

Im Theater wie im Leben braucht es permanente Veränderung, damit alles so bleiben kann, wie es zuvor schon sehr, sehr gut war. Jedoch deshalb jetzt allein auf die "Professionalisierung" der Schauspieler zu setzen, wäre - aus meiner Sicht der Dinge jedenfalls - nicht unbedingt der richtige Weg.

Denn ebenso wie in anderen Bereichen fordert das Streben nach "Verbesserung" unter Berücksichtigung des argumentativ bereits oben genannten Pareto-Prinzips (auch bekannt als 80/20 Prinzip) 80% Mehrverbrauch an Ressourcen (Lehrgänge, Technik, Organisation) für 20% Verbesserung, während 20% Änderung an einer gewohnten Struktur bereits 80% "Besserungspotentialität" genuin in sich trägt. Über das Verhältnis 80/20 ließe sich trefflich räsonieren, das Prinzip an sich bliebe gültig.

Daher plädiere ich unbedingt dafür, dass sich das Gros der Schauspieler  weiterhin aus Schauspielern mit deutlichen Bezug zu Rodaun rekrutieren wird (ein angemessen kleiner Teil "Erneurung" von aussen tut immer gut). Es sei denn, das Sommertheater strebt die Konkurrenz zu Salzburg an; bis es allerdings so weit kommen wird, werden ich, wie viele andere Schauspieler, dem Schauspiel nur noch hinterherschauen um vom Strom der Zeit nicht weiter vereinnahmt zu werden.



 




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