Der Rosenkavalier im Zeichen von #MeToo oder im Lied von der Freiheit?

Das Regiebuch zum "Rodauner Rosenkavalier" kaum begonnen, steht es bereits wieder vor seiner Fertigstellung. Wir als Gestalter seines Inhalts versuchen uns an ihm wie Textakrobaten an der Gewinnung geistiger Verfasstheit. Bevor von uns ein allzu frühes Schlusswort gesetzt wird, empfiehlt es sich unbedingt noch einmal einen Schritt zurück zu setzen.

Entlang welchen Ziels sollen sich unsere Bemühungen entwickeln, den Geist seiner Schöpfer Hofmannsthal, Strauss, ihrer vielen Vorgänger und Begleiter, in Spannung zu setzen zum drängenden Zeitgeist? Geben wir diesem Ziel ausreichend Zeit zur Entfaltung oder wollen wir unser Ziel eher an der gegenwärtigen MeToo-Debatte kondensieren, um einen größtmöglichen Effekt unter Begrenzung der Möglichkeiten unserer Zeit zu setzen? Wollen wir uns in aktuelle Bedrängnisse unserer Zeit einstimmen oder ihm andererseits doch auch Widerstand entgegen stellen? Öffnen wir in unserem Haus Fenster und Türen, geben dem Erleben von Zeit Raum, oder schließen wir sie lieber vor drohenden Stürmen der Entrüstung? Wollen wir selbst zum "Sturm" werden? Konkret: wollen wir die Entrüstung, die immer auch unsere ist, über aktuell ausgeprägte Machtverhältnisse zum Erfolg unseres Stücks deutlicher noch skandalisieren oder öffnen wir uns für Strömungen neuer Erkenntnis, die das Skandalon durch Geist, Witz und Humor als solches entlarven hilft? Das Skandalon von sich aus als solches auf uns und das Publikum wirken zu lassen, ohne es zu früh dingfest machen zu wollen und uns ihm andienen zu müssen?

In diesem Zusammenhang wird die ungemein poetische Aussage Hofmannsthals "Die Dummheit ist, wie in der Welt, das treibende Motiv. Geist macht sich die Bewegung aber zu Nutze" zum zentralen Motiv des Geschehens im Stück und auf der Bühne. Aus guter Poesie erwächst Wahrheit! Vielmehr noch: geht aus dieser poetischen Anmutung nicht an uns der Auftrag, mit Umsicht und Bedacht inhärente Wahrheit durch vorschnelles Handeln und mit moralischem Zeigefinger auf andere, die "Skandalösen" nämlich, zu verhindern? Mit drei Fingern nämlich deuten wir oft auf uns selbst, sobald wir auf andere mit einem Finger zeigen! Die Wahl unserer Worte benötigt Obacht. Diese Wahl ist in Wahrheit, in unserer Wirklichkeit, stets das Machtmittel, das wir vorbringen um das Dämonische dahinter zu verbergen. 

Hier darf willentlich entschieden werden: sind wir Opfer einer Strömung oder Mittäter, die die Strömung zur reissenden Flut werden lassen. Der Aufschrei, der durch #MeToo durch die Welt ging, mag dies verdeutlichen. Wohin treibt uns die Dummheit, von der Hofmannsthal spricht? Wo nutzt Geist diese Bewegung als Ausgleich dieser Dummheit?

Tavia erkennt zum Schluss hin die tragische Verstrickung aller Rollen und erkennt sich selbst als Teil des tragischen Geschehens, der unsere Welt durchwirkt. Und sie erkennt für sich den Ausweg. Ein jeder von uns, ob als Schauspieler auf oder hinter der Bühne, oder als Zuseher; wir alle sollten einen möglichen Ausweg aus der Tragik mit uns nach Hause nehmen können. Diesen einzigartigen Moment mit unserer Hingabe zur wohlwollenden Liebe (so oft sie auch droht übergriffig zu sein!), die unsere Welt erhellt. Zu jeder Stund', an jedem Tag wird sie neu geboren, sofern wir uns ihrer Macht anvertrauen und uns der Dummheit verwehren. Ein lichter Moment reicht Tavia zur Erkenntnis: Am Anfang steht die Unterscheidung. Das Wort! Das des Widerstandes!

Wem das nicht reicht, wird in der Schilderung "Der Hase mit dem Bernsteinauge" von Edmund de Waal fündig, der den Zeitkolorit Wiens des Fin de Siècles schriftstellerisch in den Blick zu nehmen versucht: "Im Wien der Jahrhundertwende gibt es den Kult des süßen Mädels, Mädchen aus dem Volk, die für Liebeleien mit jungen Männern aus gutem Hause leben. Endlos wird geflirtet. Strauss’ »Der Rosenkavalier« mit dem Libretto Hofmannsthals - in dem wechselnde Kostüme, wechselnde Liebhaber und wechselnde Hüte die Unterhaltung am Laufen halten - ist 1911 neu und sehr populär. Schnitzler hat Probleme, seinem Tagebuch vertraut er an, wie oft er Geschlechtsverkehr hatte, um den Anforderungen seiner zwei Geliebten gerecht zu werden. 
Sex ist allgegenwärtig in Wien. Auf den Trottoirs wimmelt es von Prostituierten, sie inserieren auf den hinteren Seiten der Neuen Freien Presse. Jedermann und alle Bedürfnisse werden befriedigt. Karl Kraus zitiert sie in seiner Zeitschrift Die Fackel: »Reisegenosse gesucht, jung, nett, Christ, unabhängig. Briefe unter »Conträr 69, postlagernd Habsburgergasse.« Freud debattiert über Sex. In Otto Weiningers »Geschlecht und Charakter«, dem Kultbuch von 1903, werden Frauen als von Natur aus amoralisch und führungsbedürftig dargestellt. Der Sex ist golden in Klimts »Judith«, »Danae«, »Der Kuss«, gefährlich in den taumelnden Körpern Schieles."

Gestern, heute und auch morgen. Vermutlich zu allen Zeiten. Wer nicht wehrhaft in Dummheit bleiben möchte, der werde wehrhaft im Geist.




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hochzeit Max&Nadine

Der Schleier des Nichtwissens; Bob Dylans lyrische Prophetie (i.p.)

Der Teufel fährt aus frauJEDERmann - und ist doch noch nur eine vage Idee vom Geschehen...