So a Theater mit dem Schauspiel!

Mit unseren Treffen schaffen wir allmählich Konturen, unserem Rosenkavalier zum Sprunge auf die Bühne. Im gleichen Maße wachsen Bedenken, ob wir die  "Hebel", die frauJEDERmann so "spritzig" hat werden lassen, auch diesmal richtig bedienen werden.

Jedermann, als "ein geistig Stück bewandt", ist konzipiert als Theaterstück in Prosa. Der Rosenkavalier dagegen als Singspiel, der zwar die Dichtung Hofmannsthals zugrunde liegt, jedoch nicht vordergründig ihr Träger ist. Dazu dient ihr die Strauss'sche Komposition. Daher sind die jeweilige Partituren grundverschieden geraten.
Diesen Umstand sollten, ja müssen wir, wie ich meine, unbedingt in unsere Überlegungen zum Konzept einbeziehen.

Mehrere Aspekte, die sich gegenseitig durchdringen, aber aus meiner Sicht zuvorderst geklärt gehören, will ich im Folgenden anführen.
 

1. Die Frage nach der Verschränkung der Zeitebenen

Die Zeitebene der Handlung vom Rosenkavalier ist eine bereits vergangene, die des Rokoko, die in die Zeit des Fin de Siécle, in die Gesellschaftsstrukturen, in die Zeit seiner Verfasser noch hineinspielt. Durch den Umstand, dass sie durch das Faktum K.u.K. Donaumonarchie weiterhin tatsächlich "verfasst" war.  Aber heute, noch einmal 100 Jahre später? Die Monarchie hat abgedankt, zwei Weltkriege, der Holocaust, der Holodomor sind zwar Geschichte aber immer noch präsent. Das alte, "gute" Abendland nicht längst untergegangen?

Unveränderlich bleiben dagegen ungerecht empfundene Machtverhältnisse, die es zu überwinden gilt. Im Rosenkavalier dankt die alte Ordnung ab. Erkennend, mitfühlend als Marschallin, unfreiwillig komisch der Ochs. MeToo war bereits vor 100 Jahren höchst aktuell, ließe sich etwas süffisant anmerken. Unsere Inszenierung sollte damit spielen.

Die Frage ist, wie? Zwei Möglichkeiten der Inszenierung lassen sich herauskristallisieren. Wir texten unsere Zeitebene "Filmset" komplett neu oder wir vertrauen weiterhin auf die Zeitlosigkeit der Sprachwucht Hofmannsthals, weitgehend unverändert wie bei frauJEDERmann.

Ersteres würde implizieren, dem Stück einen gänzlich neuen Namen zu geben, mit dem Zusatz "nach Hofmannsthal". Die Zeitebene Marie Theres' wird dann selbst zum metaphorischen Zitatenschatz, der auf dem Filmset selbst inszeniert wird und aus unserer Zeitebene heraus zur Betrachtung kommt.

Zweiteres wäre weit mutiger noch. Dort bliebe die Sprache jener Zeit zwar weitestgehend "unverständlich", die Übermittlung der Essenz vom Geschehen auf der Bühne selbst müsste metaphorischen, allegorischen, transzendentalen Figuren überantwortet sein. Das würde einem inszenatorischen Meisterstück gleichkommen. Aber: wäre dies zumutbar, darstellbar, lesbar? Für uns und unser Publikum?


2. Die Frage nach der Zeitlosigkeit

Warum funktioniert der Rosenkavalier, vor mehr als einem Jahrhundert zum Leben erweckt, auch heute noch so gut? Durch die Zeitlosigkeit seiner Figuren, ihre Anlage in Form seiner seit jeher gültigen Archetypien? Sofern es sich tatsächlich um Archetypen menschlichen Vernehmens handelt, wie muss man sie dann in der Jetztzeit präsentieren, damit sie ihrer Zeitlosigkeit nicht gleichzeitig wieder enthoben sind? Sie bleiben wohl nur dann als Archetypen jeweils identifizierbar, dass sie zwar im Bild der Gegenwart angelegt sind, gleichzeitig aber den Bezug zu ihrem eigenen Ursprung nicht verlieren. Ihr Rückbezug auf die Vergangenheit macht sie auch für die Zukunft tauglich. Und nur dann. Deshalb, zur "Schärfung" an Kontur, bietet sich die Inszenierung einer Bourleske an, eine Form von Übertreibung, die heiter und leicht bleibt. Das war schon damals die erste Idee zum Rosenkavalier, eine Komödie, die inspiriert war von den neuesten Werken der Pariser Musikszene, die eine deutliche Prägung als opera buffa, der späteren Operetten Jaques Offenbachs, bereits in sich trugen (Weitere dazu auf Wikipedia).
 

3. Text und "Musik", Metaphysik und Physik

Wie unter Punkt 1 schon erwähnt, war der Rosenkavalier als Partitur für ein Singspiel angelegt. Hofmannsthal hatte Strauss zum Teil bereits unfertige Textentwürfe zur Vertonung, erstmals Mitte April, geliefert. Teile des ersten Aufzugs waren vertont (sie ließen sich "komponieren wie Öl und Butterschmalz", wie Strauss in einem Brief an Hofmannsthal frohlockte), noch bevor die Arbeit am Text der beiden anderen Aufzüge abgeschlossen waren. Das Konzept zum Rosenkavalier entstand in Zusammenarbeit mit dem Ideengeber Harry Graf Kessler, zwischen der Uraufführung des ersten gemeinsamen Werks der beiden "Elektra" in Dresden am 25. Januar 1909 und der Premiere am der Hofoper in Berlin 15. Februar 1909. Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Wien stürzte sich Hofmannsthal in die Arbeit am Libretto. 
 

Anderes musste in dieser intensiven Zeit zurück stehen und trotzdem dauerte es bald zwei Jahre bis aus dem Konzept ein fertiges Stück wurde, inclusive Änderungen aufgrund der damals noch üblichen Zensur, und das am 26. Januar 1911 in der Semperoper Dresden uraufgeführt wird.

Diese lange Entstehungszeit legt nahe, wie anspruchsvoll die Erarbeitung war. Und würde die Behauptung zu weit führen, dass die Textdichtung zunächst den metaphysischen Grund legen sollte, aus deren "Gestimmtheit" die Tondichtung ihre physische Präsenz erhalten würde? Die Arbeit an Text, Musik und weiter am Bühnenbild wurde intensiv komponiert und führten schließlich zur Anlage einer exakt beschriebenen Partitur aus vielen Teilen, die vielschichtig ineinander verwoben, dann erst zur Aufführung gebracht werden konnte.

Wer würde behaupten können, beim Genuss der Oper das Libretto Wort für Wort zu verstehen? Nicht notwendig, denn die Musik und das Bühnenbild, die körperlicher Präsenz, Kostümierung und Farben seiner Schauspieler werden zur Essenz, dem Zuschauer zum sinnlichen Äquivalent, zum Entgelt seines Besuchs! Das sollten wir zur Erarbeitung unseres Stücks (ganz wie bei der frauJEDERmann) uns jederzeit vor Augen halten: der semantische Anteil (das Verstehen in Worten) des gesprochenen Textes ist leidlich unbedeutend. Die Semiotik, der sinnliche Anteil, das gefühlsmäßige Verstehen, die Geschlossenheit der Aufführung das Ziel!

So scheint es nicht hinreichend, allein durch Zeitsprünge in verschiedene Darstellungsebenen Spannung zu erzeugen. Es wird ein "Überbau" verlangt, der nicht nur dem Zeitenwechsel Rahmen gibt, sondern sich zur Neugierde des Publikums hin öffnet. Innerhalb dessen die Zeitebenen wieder zusammenfließen bzw. in dessen Rahmen sie selbst nie wirklich getrennt waren. In der Oper Rosenkavalier findet sich dieser "Rahmen" in einer synchronen musikalischen Komposition, im Theaterstück Rosenkavalier erfordert dieselbe Logik eine andere Qualität von Partitur: eine Partitur aus Zeitebenen und einer sie durchdringenden Metaebene, die sich zunächst aus unserer Hingabe für das Erarbeiten eines lesbaren "Gemenges", dann aber erst in der "verleiblichten" Aufführung erschließen lassen wird.

Rufen wir uns in Erinnerung, was wir bis hierher dieser "synchronisierenden" Metaebene zuordnen wollten. Formelemente von Schattentheater? Metaphernreiche Tonsätze aus Ulrichs Oeuvre, wie bei frauJEDERmann? Versatzstücke aus dem Zitatenschatz des umfangreichen und reichhaltig dokumentierten Schriftverkehrs Hofmannsthal/Strauss zum Bühnenstück und anderer drumherum? 

Wie zum Beispiel dieser Brief von
Richard Strauss an Alfred Roller Garmisch, 6. Mai 1910:

Freitag 6. Mai

Sehr verehrter Herr Professor! 

Mir gefällt der Rosenkavalier gar nicht, mir gefällt der Ochs! Aber was will man machen? Hofmannsthal liebt das Zarte, Ätherische, meine Frau befiehlt: Rosenkavalier 

Also Rosenkavalier! Der Teufel hol ihn!

(...)

Mit herzlichen Grüßen 
Ihr achtungsvoll ergebener 
Dr Richard Strauss 


Strauss und Hofmannsthal, die quasi Göttern gleich, im Hintergrund erhöht über der Bühne allgegenwärtig, schweben? Physisch präsent auf einem Stuhl und unter dem Lichtkegel einer Stehlampe, eigenen Worte zitierend. Als allegorische Figuren? Vielleicht bietet sich der Schriftverkehr zur Hebung ungeheurer Schätze an, die sich als Metaebene gleich Overtüren und Arien über unsere Aufführung legen? Die wenigen, mir bislang zugänglichen Briefwechsel (ein weiteres Buch wird mir in Bälde Amazon liefern) eröffnen einen gleichzeitig zutiefst menschlichen, aber auch höchst "künstlerischen' Horizont, der beim Lesen die beiden "Helden" zugleich groß und klein werden lässt. Wie Figuren lebendig werden, allein durch das Zitieren Ihrer Botschaften.
Wie etwa bei der Filmdoku "Zustand und Gelände", der kürzlich im Wiener Metrokulturhaus zu sehen war. Es sind Filmaufnahmen von Gelände und Bauten in Thüringen in langem, gemächlichem Filmschnitt zu sehen. Darüber schwebt eine monotone weibliche Stimme aus dem Off, die Polizeiprotokolle aus der Zeit zwischen 1933 bis in die frühen Jahre der DDR verliest. Die Protokolle handeln von Schlägereien, Gefangennahme und Arrestierung, von Folter, und werden ohne jede Emotion heruntergelesen. Die erzeugte Spannung wird nach und nach beklemmend unerträglich.

Bei uns geht es nicht um körperliche Gewalt. Dennoch werden Hofmannsthal, Strauss und andere in ihren Briefen zu Zeitzeugen, die uns eine Menge über die gesellschaftlichen Befindlichkeiten jener Zeit zu sagen haben. Den Briefwechsel auf der Bühne lebendig werden zu lassen, könnte also ein gutes inzenatorisches Mittel sein.

Oder wir öffnen ihn gar für Zitate aus dem ganzen Universum der Theaterwelt.

"Liebe ist eine bloße Tollheit, und ich sage Euch, verdient ebensogut eine dunkle Zelle und Peitsche als andre Tolle; und die Ursache, warum sie nicht so gezüchtigt und geheilt wird, ist, weil sich diese Mondsucht so gemein gemacht hat, daß die Zuchtmeister selbst verliebt sind."

William Shakespeare


Was steht uns noch für die Dramaturgie offen? Pantomime? Gebärdensprache???

Ein wesentliches "Handlungselement" könnte eine burleske Choreographie hin- und hereilender Nebenfiguren bieten, die jeweils in allen drei Aufführungen inszeniert sind und die zwischen die szenischen Zeitsprünge von "jetzt auf vormals" eingeflochten werden könnten. Sicher waren Szenen aus dem Rosenkavalier stilprägend für Filmkomödien von Billy Wilder und Charlie Chaplin, die uns daher gut Anleihen und Zitate liefen könnten.
 

4. Gewichtung der Zeitebenen

Bislang schien das Changieren innerhalb der Zeitebenen gleichberechtigt opportun. Hier sei die Frage aufgeworfen, ob nicht eher eine Hierarchisierung zielführend wäre. Die zentrale Ebene im Hier und Jetzt des Sets einer Filmproduktion. In einer zweiten Ebene dessen "Produktion Rosenkavalier", a la lónge Reflexionsebene eigenen Seins? "Die Geister, die ich rief", angelegt in der Zeit Marie Theres's? Die Utopie und deren liedvoller Irrweg? Darüber, nur scheinbar untergeordnet, die Figuren aus unserer Metaebene: humorvoll, schrill, laut, launig, frivol, zärtlich, liebend, trauernd; ein Himmel voller Geigen im allgegenwärtigen Zustand des Verfalls, der Hoffnung und der Zukunft vor dem Horizont des Vergänglichen. 

Die "reale" Zeitebene wird vermutlich nach einer intensiven Textadaption verlangen. Für die Zeitebene "Rosenkavalier" bieten sich aus dem Original die großen eingehenden "Monologe" und "Dialoge" an, die im Singspiel als Arien angelegt sind. Wie zum Beispiel die wunderbare Reflexion der Marschallin über die Zeit ("Die Zeit im Grund, Quin-Quin, die Zeit,...."), die im Partitur-Text Strauss Teile von neu gedichteten Textpassagen enthält, die ihm Hofmannsthal auf seinen Wunsch hin am 22. Mai 1909 zukommen ließ, die jedoch nicht Aufnahme in den Text der Theaterversion fand. In ihr reflektiert nun seinerseits Octavian wehleidig wie eindrücklich:

"Wenns so einen Tag geben wird — 
ich denk ihn nicht!
Dass so eine Zeit kommen soll
das will ich nicht! 
Hier und heute das versteh ich
dich hab ich, dich seh ich
und Morgen soll sein wie Heute
und das Verrinnen und Vergehen
das ist für die anderen Leute!
Und die andern, die sind weit
Und für einander haben wir Zeit
und eine andere Zeit will ich nicht denken
(kl. Pause) 
Was quälst du dich und mich, Theres!"

Octavian, in seinem jugendhaften, schwärmerischen Horizont "gefangen", gelingt es noch nicht zur die Tiefe der Reflexionsfähigkeit einer gereiften Marschallin zu gelangen. Er muss dazu noch sein Leben erst leben lernen. Wie ich meine, kann die Einschaltung dieses Passus in unsere Partitur zu einer Aufführung führen, die es niemals zuvor gab, selbst wenn diese Umstände nur dem Eingeweihten in den Sinn käme.

Sofern wir gewillt sind, uns der Mühe zu unterziehen, weitere solche Zusammenhänge aus dem schriftlichen Vermächtnis zu "enthüllen", dann könnte unsere Inszenierung in einen bislang noch unbeleuchteten Horizont blicken. Und das sollte einen stimulierenden Effekt für unsere Aufführung nach sich ziehen.

Bislang wird der Rosenkavalier in der Öffentlichkeit als Oper wahrgenommen. Das wird wohl so bleiben. Vor der Bergkirche aber, im Sommertheater Rodauns, könnte schon bald ein Theaterstück "nach Hofmannsthal" mit erfrischend neuartiger Partitur zur Aufführung kommen.


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