Der Antinarzisst im Schauspiel

Glaubensätze gab es zu allen Zeiten. So viele wie heutzutage, mit großer Wahrscheinlichkeit nie zuvor. Ein fast amüsantes Paradox unserer Wissensgesellschaft. Nun, mit gesundem Skeptizismus ausgestattete Zeitgenossen sehen darin wenig überraschendes. Denn "Wissen", das wir als Gesellschaft derzeit geradezu als Ideal anhimmeln, kann seine Kraft allein deshalb entfalten, weil wir an seine Kraft all unseren Glauben binden.

DAS Wort unserer Zeit hört auf den Namen "Narziss". Wir, als Individuum, MÜSSEN uns selbst genug sein. Aber verlieren wir uns somit nicht als gemeinschaftliche Wesen? Wo bleibt der Kitt, der die Welt im Innersten zudammenhält? Wird die Gesellschaft so nicht gespalten in lauter "Ich-AGs"? Self-Inhancement versus Solidargemeinschaft? Nun, ganz so pessimistisch muss man die Reflexion gar nicht anlegen; selbstverständlich findet sich doch hierin auch viel sehr Gutes; die so überaus süße "Verführung" zum ausgelassen-unbeschwerten Leben!

Verführend scheint mir deshalb auch der Anspruch an ewige Weiterbildung, die wir heutzutage als Individuen leisten sollen. Erfolge bleiben so oft auf der Strecke, weil sie eher vom Mangel her betrachtet werden, statt ihren spontanen Reichtum zu schauen.

Lieber XXXXX, die Wiederaufführung der frauJEDERmann wird mir vor allem deshalb in guter Erinnerung bleiben, weil Du es warst, der mit dem Schlussapplaus zu mir kam und mir zu meinem Schauspiel mit aufrichtig gezeigtes Euphorie gratulieren wollte. Ich habe mich so sehr darüber freuen können! Gleichzeitig aber erkennen dürfen, dass es dabei gar nicht so sehr um mich ging.

Ich darf vermuten, dass Du in meiner Interpretation der Rolle jenes Vermögen verspürtest, dass Du offensichtlich selbst anstrebst. Und auch ein wenig verherrlichen möchtest? Ein wenig als ein Spiegel Deiner Interpretation des Demetrius im Sommernachtstraum? Dein Spiel wollte mir ebenso überaus gefallen. 

Im Zuge unserer Diskussionen am Abend des Abschlussfestes zum Rodauner Sommertheater fiel mir auf, wie sehr Du als junger Mann - ich als alter Mann nehme mir die Freiheit, es so zu sagen - , auf die weitere Ausbildung zum Schauspieler fokussiert bist. Ich verstehe das vollkommen und darf dennoch skeptisch darauf blicken. Ich vermute nämlich, dass wir einem Irrtum aufsitzen, wenn wir den Blick allzusehr auf unser "technisches" Vermögen richten. Wie viel mehr zählt nach wie vor der Mensch in seiner ganz natürlichen Form. Ungebildet, roh und in quasi archaischer Kraft. Man sollte das eine keineswegs gegen das andere ausspielen. 

Irgendein Philosoph sprach davon, dass wir uns mit unserer (gottgegebenen) Natur zur geschaffenen Welt ins Verhältnis setzen müssen, dürfen, sollen. Ich behaupte, einen Großteil dieses Verhältnisses können wir nicht, keinen Deut nämlich, ändern. Einen kleinen Teil dessen davon jedoch sehr wohl. Dieses Verhältnis ist nicht konkret bestimmbar. Empirische Erfahrungen lassen vermuten, dass es sich um ein Verhältnis von 80/20 handelt.


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