Der Rosenkavalier - Komödie nach Hofmannsthal?

Lieber XXXXX,

Der Rosenkavalier "aus unserer Feder" bekommt deutlich neue Wesenszüge. Das ist gut so und muss auch so sein. Dennoch gilt es gut abzuwägen. Wie bereits "angedroht" will ich noch einmal einen Schritt zurück in grundsätzlichere Überlegungen unternehmen.

Deine Idee dem Stück einen neue, in der Jetztzeit spielende Anfangsszene zu schenken, halte ich weiterhin ohne Einschränkung für brilliant. Wir sollten deshalb die Möglichkeiten für unser Stück, die sich aus diesem Kunstgriff ergeben, versuchen noch weiter auszuloten. Aus zweierlei Gründen, die miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen.

1.) Es wird deutlich, dass es sich nunmehr um eine zeitaktuelle Fassung des immerwährenden Spiels um die Darstellung gesellschaftlicher und persönlicher Machtverhältnisse und deren Auswirkungen auf uns als Wertegemeinschaft geht. Geht es denn jemals um etwas anderes im Theater? Die eigentliche Handlung des Rosenkavaliers dient uns somit im Wesentlichen nur noch als ein Art "Zitat" unseres kulturellen Vermächtnisses, dem wir uns frei bedienen dürfen und dies unbedingt auch sollten.

Die Hauptrollen erhalten mit dieser Ausrichtung eine gänzlich neue Gewichtung. Waren im Rosenkavalier Hofmannsthals dem OCHS und der MARSCHALLIN die tragenden Rollen zugewiesen, so könnte in unserer Inszenierung die Rolle SOLINAS weit mehr noch, als bislang angedacht, ins Zentrum der Reflexion gerückt werden. Mein erster Impuls auf Deine Idee zum Prolog war sogleich die Möglichkeit einer gewissen Umdeutung des schwer lastenden Erbes, das uns H. und S. mit dem Rosenkavalier hinterlassen haben. Wo ein Prolog ins Stück hineinführt, wäre der Ausklang mithilfe eines Epilogs nur konsequent. Hierzu tat sich mir gedanklich gleich eine Schlusszene unter dem Motto: "Du, der du so bist wie du bist!" auf, in der SOLINA, allein auf der verlassenen Bühne, das Taschentuch! in Händen, darüber reflektiert (in einer Art "Textarie" nach Hs. Vorbild - ich versuche mich bereits daran), was mit ihr geschehen ist und zu begreifen beginnt, wie sehr sie durch die (übergriffigen) Umstände gezwungen war, in ihren Widerstand zu finden. Zum Ende dieser Szene tritt dann Hofmannsthal an sie heran, legt ihr sanft seine Hand auf die Schulter, und das Stück endet mit seinen Worten: "Mein Sohn Franz war, als er viel zu früh von uns schied, in deinem Alter. Ich wünschte du, der du so bist wie du bist, wärest ihm in seiner Zeit eine Freundin gewesen. Jetzt aber wird es mir zum Trost, endlich das im Wachsen zu sehen, was ich in meiner Zeit nur erträumen konnte. Für mich und für alle. Danke, mein Kind!" Eine Versöhnung der Welt, die nur in die Zukunft gedacht werden kann, weil sie in der Gegenwart wohl niemals stattfinden wird. Übrigens ein Thema, das Hofmannsthal ein ganzes Dichterleben gewälzt hat, und ihn selbst zum "Erlösermotiv" in seinem Spätwerk "Der Turm" geführt hat.

2.) Vorgenanntes ließe sich durch einen weiteren Kunstgriff noch deutlicher zum Ausdruck bringen. Es bedarf allerdings größten Mutes! Das Geschehen auf der Bühne entwickelt sich demnach aus der historischen Ebene in den ersten beiden Aufzügen heraus, in den dritten Aufzug, der fast vollständig im Heute (und dem Ruch einer b'soffenen G'schicht) angesiedelt sein könnte, hinein. Lediglich noch mit einer einzigen Rückblende mit letzten Film-Aufnahmen (MARSCHALLIN, OCTAVIAN, SOPHIE), mit denen der Film schließlich dann auch abgedreht wäre.
Wir erhielten zudem auch zwei höchst spannende gegenläufige Entwicklungen: im ersten Aufzug spielt das Geschehen vom Rosenkavalier in der Vergangenheit mit einem Ausblick in die damalige Zukunft des "Heute", im zweiten Aufzug erhält es nochmals seine "letzte Aufführung", um schließlich seine Fortsetzung im dritten Aufzug zu finden; im Hier und Jetzt. Im gleichen Maße wie das vergängliche schwindet, wächst aus ihm die Blüte des Neuen. Die Vergangenheit findet ihr Ziel in der Zukunft, indem sie in Zukunft ihre Vergangenheit reflektiert.

Lieber XXXXX, noch ist dies nur ein schnell dahin geschriebener Entwurf, der präzisiert werden muss. Die Frage lautet: sind wir bereit für diesen großen Wurf? Es wäre mehr als eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers, es würde eine Umdeutung des historischen Stoffs bedeuten. Mit der Konstante, dass eine (menschliche) Welt ohne ausformulierte Machtverhältnisse nicht denkbar, schlechterdings unmöglich ist. Lediglich ihre Spielarten ändern sich permanent.

Ein drittes noch: Im Dialog zwischen H. und S. wurden viele Briefe verschickt, in denen es um die Verbesserung der Spannungsbögen der drei Aufzüge und des Gesamtstückes ging. So gut geschrieben und klar formuliert Dein Prolog auch ist; ich fürchte, er nimmt zuviel vorweg, was in drei langen Aufzügen immer wieder zentrales Thema sein wird. Folge ich den gegenseitigen Mahnungen von H. und S., zunächst mit feiner Klinge ins Stück zu führen um dann zum Höhepunkt hin die Streiche umso heftiger niedergehen zu lassen, dann sollte Dein Prolog meinem Dafürhalten eher beim ersten Aufeinandertreffen zwischen dem Regisseur und Tavia platziert sein, um dem Stück dort den notwendigen Zündstoff zu liefern. Zu Beginn tut es noch nicht Not! Dort wird nur angedeutet, wovon jeder bereits Kenntnis hat! Und was im Film immer funktioniert, muss deshalb nicht unbedingt auf die Bühne. Dem Publikum sollte Zeit gegeben werden anzukommen um sich dreinzufügen zu können. Und wir Schauspieler sollten uns "Warmspielen" dürfen, damit unsere Rosen aus Rodaun dann auch sicher ins Herz treffen!




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