Der Mann, der den Frieden brachte

Es war eine Zeit in einem Land großer Umbrüche und noch größerer Irrungen. Armut und Krankheiten fielen ein. Die Menschen litten und wussten keinen Ausweg mehr.

Da kam er ins Land. Fremd war er. Von weit her. Er sprach nicht die Sprache der Menschen, aber bald nach seinem Erscheinen änderte sich alles. Es geschah einfach. Niemand konnte sich erklären, was es war. Jeder aber spürte es. Es verwandelte die Menschen im Land.

War es ein Zauber, der diesen seltsamen Mann umfing, waren es seine Augen, sein gewitzes Lächeln; sein lachendes Gesicht, das das Umfeld unmittelbar veränderte? Allein, der Wirkung seines Lachen wusste sich niemand und nichts zu entziehen.

Er brachte die große Verschuldung ins Land, die keine Grenzen kannte. Vor seinem Auftreten wäre es undenkbar gewesen, dass es den Menschen einmal geschehen könnte, dem Nächsten etwas schuldig bleiben zu müssen. Das Schuldenmachen griff um sich wie eine Seuche. Der eine borgte sich vom nächsten, der nächste vom übernächsten. Und so fort. Mehrere Umläufe waren notwendig, bis es im ganzen Land niemanden mehr gab, der sich beim nächsten und übernächsten nicht auch selbst verschuldet hätte. Alle waren jetzt Schuldner an den nächsten und übernächsten. 

Wie der Fremde diese Bewegung anzettelte, ob er sie überhaupt anzettelte, später wusste es niemand mehr zu sagen. Es geschah jedenfalls zu seiner Zeit. Alles was er tat, oder nicht tat; er tat es wie ein Spielmann und das in großer Autorität, der sich niemand wirklich entziehen konnte. Und das Erstaunliche geschah: aus dem Umstand, dass schließlich jeder jedem etwas schuldig war, und das in einer Höhe, die vorher undenkbar schien, und die nie jemals jemand würde wieder zurückzahlen können; es kam Frieden ins Land. Ein jeder war dem anderen gleichgestellt. Ein jeder redete wieder mit seinem nächsten und übernächsten. Das Lachen kam zurück. War es sein Lachen? Der Frieden, sein Frieden vollzog sich, indem es das Land von seiner Sorge um Amut und Krankheit befreite. Niemand mehr konnte dem anderen etwas vorwerfen, was er sich nicht hätte ebenfalls zu Schulden kommen lassen.

Wurde zu Beginn dieser Seuche über die Höhe der Schulden - wie viele Generationen vorher hatten das Zählen mit mathematischer Präzision lange eingeübt! - Buch geführt und Rechnungen angestrengt, wer wem was wieviel und wie häufig schon schuldete und wie die Rückzahlung zu organisieren wären, bald rauchten die Köpfe vom vielen Rechnen, der Algorithmus sprengte mit seiner Datenflut selbst die Kapazität aller Quantencomputer zusammen; schließlich geschah, was niemand voraussehen konnte. Die Menschen gaben es auf, bis in die x-te Stelle hinter dem Komma zu rechnen. Sie verloren den Blick aufs Kleine und gewannen den Blick hin zur Fülle des Lebens. Die Verschuldung machte das Land reich. Keine Zahl mehr reichte um sie zu beschreiben. Ihre Zahl war schließlich größer als die Zahl der Sterne am Firmament. Aus der Verschuldung wurde Reichtum. Aus der Seuche wurde Heil.

Längst war der Mann, der den Frieden brachte, weitergezogen. Man kannte nur seinen Namen, der zur Legende wurde: Tobias. Die griechische Variante des viel älteren hebräischen „Tuvijah“ beziehungsweise „Tobijah“, eines Namens, den man mit „Gott ist gütig“, mit „Gott ist gnädig“ oder auch mit „Der Herr ist mein Gott“ übersetzen könnte. Er war vom Engel Rafael und seinem Hund begleitet, um im Auftrag seines Vaters Tobit eine Frau für sich zu gewinnen und Frieden in der Welt zu verbreiten. Zu der Zeit, als er in die Länder zog, wie es uns mit den alten Schriften überliefert wird. Ganz sicher dauern seine Wanderungen immer noch an. Wird er einst wieder zurückkommen müssen in unser Land? 

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