frauJEDERmann geht online

Das Projekt frauJEDERmann nimmt erneut Fahrt auf. Zunächst noch etwas unsicher, gewissermaßen in digital kleinen online Schritten. Kaum schimmert Hoffnung am analogen Horizont unserer Erwartungen, das Coronaregime könne mit Durchimpfung der Gesellschaft bald Erfolge tätigen, kehren sowohl Zuversicht als auch neue Zweifel zurück. Das ist eine gute Nachricht in dieser einerseits als so lähmend empfundenen Zeit, die andererseits aber täglich weiter dynamisiert mit einer wahren Flut an neuen Erkenntnissen und Verordnungen, Tabellen und Zahlen, bildschirmgerecht aufgeschlossen, daherkommt. Noch ist es zu früh, aber doch längst wieder Zeit für etwas anderes. Für eine Zeit mit anderen Sorgen. 

Und nun? frauJEDERmann geht Online? Proben wir tatsächlich noch dasselbe Stück wie vor Corona? Als hätte sich im letzten Jahr nichts, und zwar einen neuen Grund legend, verändert? Das reale Leben zum Schutz von Lebensjahren möglichst auf vier Wände beschränkend, maskenbewehrt, feiert jetzt die virtuelle Welt immer mächtiger Auftritte, wie es scheint. Und wir? Wollen wir, können wir realiter zurück auf unsere alte analoge Bühne? 

Gesetzt den Fall, dass die einjährige Furcht bald "weggeimpft" sein wird; welcher Zuschauer würde sich in diesem Fall, wie vor dem Fall noch, motiviert vor eine analoge Bühne ohne digitale Aufmachung setzen wollen? Noch ist es nicht mehr als eine schmale Hypothese; aber hat sich an unserer Zivilisation nicht innerhalb des letzten Jahres eine bahnbrechende Veränderung ereignet? Die wir erst in Analogie vom Sterben der reichen frauJEDERmann - im Spiel nun - neu zu verstehen lernen müssen? Und wenn ja, müsste diese Veränderung nicht auch unsere Inszenierung grundsätzlich neu herausfordern? 

Es ist zu früh, sogleich mit gut gemeinten Vorschlägen zu kommen. Dennoch sollten wir uns offen und eingehend darauf einlassen, wie das Geschehen der Pandemie in unserem Stück deutlicher Ausdruck finden könnte. Theater ist lebendig. Zeitgemäß und niemals unverändert von einer Aufführung zur nächsten, von einer Interpretation zur anderen, von der einer Rezeption zu einer weiteren. 

Im klassischen antiken Theater gab es die innovative Vorrichtung des deus ex machina. Wenn es im Spiel auf der Bühne zu tragischen, ausweglosen Situationen kam, dann griffen (meist) Götter als Figuren unvorhersehbar ins Spiel ein, die mittels eines Kranes hinter den Bühnenbauten auf das Proszenium gehieft wurden. Um dem Geschehen eine gänzlich neue Wendung zu geben. 

In Analogie wäre es in unserem Stück der BOT, der "in den heiteren Himmel" frauJEDERmanns wie ein deus ex machina einbricht, indem er sich zum TOD wandelt, wie ein unscheinbarer Virus in den alles vereinnahmenden Covid-19. Gehört nicht gar eine zusätzliche, allegorische Spielfigur COVID zu unserem Spiel vom Sterben? Als stummer Zeuge? COVID ikonisch und provokant: ein BOT? Kaum kommt der TOD auf der Bühne frauJEDERmann näher verliert sie ihren Atem. Sollte dieser Umstand nicht einen noch viel stärkeren Bezug in unserem Stück zur aktuellen Situation nehmen?

Vielleicht wären nur einige wenige inszenatorische Eingriffe notwendig, um diese Analogie zu verdeutlichen, OHNE deshalb am Text etwas verändern zu müssen. Bilder als Metapher sind genug und genuin Sprache des Theaters. 

Das Theater eröffnet in streng reglementiert Zeiten, Zeiten der Unsicherheit und Zeiten des Umbruchs, mit Mitteln des freien Ausdrucks Handlungsmöglichkeiten, die Angst besänftigen und Mut wieder zurück bringen helfen. Vor Corona schien uns die Angst vor dem eigenen Tod kaum zu bedrängen; heute ist sie als "Angst vor der Seuche" wie aus heiterem Himmel zurück und auch mitten in unsere Proben eingebrochen. 
Der Tod auf der Hofmannsthal'schen Bühne ist in Wirklichkeit nicht der Tod selbst, sondern unser aller Angst davor. Eine Bot-schaft für uns Angst-besetzte Empfänger, könnte man vereinfachend sagen. Wäre eine passende Antwort auf die Frage frauJEDERmanns, "was bist Du für ein Bot?", in diesem Kontext vielleicht gar: "(ich) komm unsichtbar als Bot...Allein, FÜRCHTE mich wie den Tod! Ich BIN der Tod. Euer Tod.." 

Noch ist es ein wenig früh für die Einschätzung in welcher Form frauJEDERmann auf die Bühne gehen wird. Die analoge Aufführung im September, wie ursprünglich intendiert mit allen Darstellern und gefüllten Zuschauerplätzen, frei jeder epidemiebedingten Beschränkung auf der Bühne (zum aktuellen Zeitpunkt irgendwie doch noch wenig wahrscheinlich) oder die Aufführung als eine Art "virtuelles Kammerspiel" vor der Kamera, in der sämtlich alle Darsteller aus privaten Räumen in einem "live-Chatroom" zugeschaltet sind. Beides wäre möglich. 

Das Regime der Pandemiebekämpfung wird kaum vorschnell seine allumfassende Kompetenz und seine Regierungssitze verlassen wollen; darauf werden wir vorbereiten müssen. Wobei nicht wir, die Schauspieler, sind das eigentliche Problem im Umgang mit den weiteren Folgen der Pandemie. It's the economy, stupid! Die Aufführung braucht voll besetztes Publikum. 

Auch kurzfristig werden wir gegebenenfalls reagieren müssen, indem wir (noch) in verschiedenen Inszenierungen denken. Die ursprüngliche mit voller Bühne, eine andere, in der etwa allein die allegorischen Figuren des Schauspiels GOTT, TOD, TEUFEL, MAMMON, GUTE WERKE und GLAUBE live und in körperlicher Präsenz - in virologisch freigegebener Distanz - auf der Bühne agieren. Und alle menschlichen Figuren wie aus dem Off zugeschaltet sind. Mit Projektionen ihrer Gesichter auf Leinwänden und Bildschirmen, quasi als belebendes Mienenspiel auf die Bühne projeziert , wie wir es in den jüngsten Zoom-Sitzungen bereits  erprobt haben. Oder eben frauJEDERmann als Singularität auf der Bühne in der Symbolik einer Art modernen, realen Echokammer. Das Stück lässt sich in vielerlei Spielarten ausführen und könnte so zudem zeigen, dass Theater niemals "entbehrlich" sein darf. Unlängst war auf Plakaten in Wiens Straßen zu lesen: "Ohne Kunst sind Augen nichts als Sensoren für Licht!" Füllen wir also unsere Sinne mit Lust am Spiel gleich welcher Umstände!

Ohnehin haben wir noch nicht einmal probeweise in Erfahrung bringen können, wie die geplante elektronische Verstärkung unserer Stimmen unser "Spiel" verändern wird. Ebenso wie Nahaufnahmen  von Akteuren deren Mimik in differenzierende Bilder aufzulösen vermögen und so durchaus eine adäquate und hochaktuelle Aura eines neuen postcoronalen Zeitalters auf die Bühne projezieren. 

Mit unserem Mastermind Marcus Marschalek, als Ideengeber und wohlwollend beobachtenden Lenker vor und hinter der Bühne, mit dem Blick durch seine Camera obscura (lat." verdunkelter Raum, der empfänglich ist für das erhellende "Licht im Dunkeln"), werden wir ganz sicher eine ansprechende Form für die Aufführung finden. Entpuppt sich Marcus gar als Deus ex machina, der das Filmmaterial zu noch ganz anderen Zwecken veredelt? Es kommt wie es soll. FrauJEDERmann ist immer Teil eines Spektakels. In ihrem Spiel vom Sterben wird unsere Welt beleuchtet, indem von ihren Saiten "das Lied vom Tod" erklingen wird. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hochzeit Max&Nadine

Der Schleier des Nichtwissens; Bob Dylans lyrische Prophetie (i.p.)

Der Teufel fährt aus frauJEDERmann - und ist doch noch nur eine vage Idee vom Geschehen...