Einmal mehr: dissoziative Welt

Lieber XXXXX, 

Zunächst fällt es mir schwer, Dir für die "Anmerkungen" zu meinem Blog zu danken. Dankbarkeit ist jedoch für mich als Wesenszug essenziell. Sie wird sich also - auch in dieser Sache - über gut und lang ohnehin bald wieder breit machen. Dafür müsste sich aber, wie soll ich es gleich nennen...ja, nennen wir es ruhig einmal halb scherzhaft, halb ernsthaft "Großherzigkeit", unbedingt einstellen. Großherzogkeit insofern, als dass ich den vielen Stimmen, die Deine "wohlfeilen" Anmerkungen in mir höchst dissonant hervorrufen haben, nicht gleichzeitig Raum geben darf. Lass mich unter Mithilfe jener Dissonanz gewissernaßen meine Gefühlswelt vorsichtshalber in bewusste "Dissoziation" bringen, damit nicht die Vernunft gegen meine Gefühle, mein Herz nicht gegen mein wankelmütiges Cerebrum ankämpfen muss. 

Allerdings um den Preis, dass ich mich erneut nicht verständlich machen kann, wie Du wissend bemängelst. Lass mich deshalb, im Widerstand anderer innerer Stimmen, bemühen, hinter Deinen Einlassungen auf meine Texte Wohlwollen, gar Sympathie herauslesen zu wollen. Mit der Methode kräftiger Dissoziation sollte es mir jedenfalls gelingen. 

Zunächst springen mir überaus "starke" Worte deines Textes entgegen, treffend ins Aug', nein vielmehr gleich mitten ins Herz hinein. Hat diese Wortwahl Methode, ist sie Stilmittel eines wirklich "Wohlgesinnten"? Muss ich nicht vielmehr eher "Unversöhntes", "Agressives" in ihr befürchten? 

Ich will diesen ersten Eindruck meinerseits auch gleich versuchen zu benennen, mit Textzitaten beleuchten, indem ich Dich - diesmal hoffentlich zutreffender! - einmal mehr zitiere: "Verletzen will ich Dich nicht", heben Deine Worte gleich im zweiten Deiner Sätze an. Anschließend prasseln in steter Abfolge alle Arten von Zuschreibungen auf mich herab: "Ohnmacht" / "Selbstbezogenheit" / Schüsse, Fürze, Kanonenkugeln "aus allen Rohren" (Achtung: Zitat lustvoll anders gewichtet!) / wiewohl "intelligent, empathiefähig und kompetent", aber keinerlei Ahnung, was im Blog gesagt werde / "Zitate ein bisschen aufs Geratewohl...Motto: Eindruck machen" / "keine Grenzen gesetzt, es gibt keine Regeln" etc. pp. Wie darf ich diese Aggloromation - könnte ich sie wenigstens als Allegorien lesen - bitte verstehen? Durchsetzt mit Spitzen, gezügelt allenfalls im "Geschwurbel" eines moderaten "Allegros"?

Doch dem nicht genug. Nun folgt ein "Crescendo" weiterer Vorwürfe, mein Text sei nichts weiter als ein Absetzen von "Selbstverzückheit, fishing for compliments, Ironie etc.", ich würde "Aussagen von (Dir) dabei völlig sinnentstellt" benutzen. "Ich brauche dich nicht, um zu wissen, wo ich stehe" (Lieber XXX, das weiß ich sehr wohl! - aber was um alles in der Welt versuchst DU mir damit mitzuteilen? ). Und es kommt noch besser: im "Fortissimo" schließlich, gleich anschließend am ellenlange zitierten "Erhellend die Worte, die du über deinen Vater, verlierst..." fällt das Schlüsselwort deines Versuchs, mich nachgerade nicht beleidigen zu wollen. Hand aufs Herz: Gilt das A....loch für meinen Vater nicht vielmehr gleich mir? In Sippenhaft genommen für die vermessene wie anmaßende "XXXXX-Brut"? In Überhöhung dieser Zuschreibung gleich als ein "XXXXXzän", wie ich lesen musste? "Stirb und werde"? 

Au Backe! Das tut weh! Allesamt Wirkungstreffer, in wohlgesetzten Worten. Gleichwohl will ich Dir unaufgefordert grundehrliche Absichten zugestehen und vermute keinerlei "Fiesematenten", eher schon eine Art double-blind Botschaft, hinter Deinen Worten. Mögen sie doch als Wirkungstreffer wenigstens etwas bewirken! Damit könnte ich tatsächlich etwas anfangen. Als wollten sie mich weiter aus gesicherter Reserve locken und (in Stellvertretung) den gerechter Zorn eines Sohnes auf seinen übergriffigen Vater formulieren, der "nackert über den Prater gepeitscht (...) werden" müsste. 

Halt! Nein! Und abermals: Nein, solcherlei Worte wollen mir ganz sicher nicht gefallen. Zwar höre ich keinen Willen zur Blutrache heraus, "Aug um Aug, Zahn um Zahn", die immerhin angemessen und ehrlich wäre, dagegen aber die weitaus fiesere Methodologie "mittelalterliche Abrechnung", nach vormals gängiger (heute in Echoräumen neu belebter) Methoden "zur Beschämung und Buße des an den Pranger Stellens" heraus (und stünden derlei Methoden zur Erbauung gepeinigter Kinderseelen folgerichtig auch im Prater). Beschämung wäre gewiss nicht mein Stil. 

Lieber XXX, es sind sehr viele Jahre vergangen, seitdem wir, quasi noch als Kinder, aufeinander losgelassen wurden. Eine lange Zeit, die wir hinter uns und die uns vorangebracht haben sollte. Ich bin mir wohlbewußt, dass XXXXXXX und ich, damals zu zweit, gewissermaßen in familiärem Triumvirat auftretend (angelehnt an eine Zote unserer Zeit), in jeder Hinsicht eine Zumutung für alle Beteiligten gewesen sein müssen. Glaube mir bitte, es tut mir unendlich leid, wie oft gerade ich (ebenso wie mein Vater) völlig dumm übergriffig gewesen bin! Es ist Jahre her. Aber ich war doch noch Kind, das erst noch lernen musste, sich angemessen zu wehren. Und sich dabei, noch weitestgehend  "unschuldig", gleichwohl "schuldig" gemacht hat. Ich kann immer wieder nur darum bitten, mir doch endlich und für immer zu vergeben! Ganz so, wie es mir nach vielen Jahren und tiefen Krisen gelungen ist, meinem "väterlichen Peiniger" endlich zu vergeben. 

Könntest Du uns heute zusammen erleben, meinen Vater und mich, ich glaube sehr wohl, Du könntest Dich mit mir freuen. Für mich freuen, dass mir Aussöhnung mit ihm noch vergönnt war. Vater und Sohn begegnen sich heute auf Augenhöhe. Der alte Herr freut sich immer und sichtbar ehrlich, wenn ich ihn besuche. Er hat in greisem Alter das Glück, mit seiner (wohl) engültig letzten Frau noch einmal einen sehr "guten Fang" gemacht zu haben. Ganz wie ich selbst ein paar Jahre früher, gewissermaßen für ihn geeignet als Passepartout. Endlich eine Beziehung auf Augenhöhe. 

Beziehungen auf Augenhöhe sind das einzig wirklich friedenstiftende Element, das die Gattung Mensch Wohl-wollend werden lassen kann, wie ich meine. Siehe Diskussion um Gleichberechtigung. Oftmals lautet der Preis, geradezu als Bedingung allerdings: schmähliche Erniedrigung!!! Im damaligen, ironisierenden Jargon meines Bruders: "Bedinungungsloses Unterwerfen" Allein, mit dem hoffenden Ziel, dennoch einmal auf Augenhöhe kommen zu können. Dieses Ziel wird jedoch nicht direkt angestrebt durch Beseitigung dessen, "was man weg haben will", sondern indirekt durch Verständigung und Anerkennung. Die "XXXXX-Brut" war stets willfährig Brutstätte solch irrwitzigen Unterfangens. Damals noch im Härtetest; heute in weitestgehend freiem, gewährenden, offenen, friedlichen Diskurses, jedoch unbedingt in peinigendem Kampf mit dem eigenen, wehrhaften und, falls notwengig, unglaublich korrumpierbaren Ego. Reine Paradoxie zwar, aber eine mit wahrlich umwälzender Wirkung. Wie oft spielten wir dieses "Spiel" in unserer gemeinsamen Jugend! Erinnere Dich! (Noch) war es mehr argloses Spielen. Sehr wohl schon mit deutlich Grenzen setzender, oft auch offen diskriminierender Wortwahl. Heute dürften wir uns dafür schämen. Dennoch in meinem Verständnis ein uns alle prägendes Spiel. Ich denke schon, dass wir damals einigermaßen auf Augenhöhe agierten. Mit viel Kreativität und noch mehr Spaß und Humor. Mann, waren wir allesamt doch schon bald echte Experten darin, damals! Sympathisch-ungestüme, jugendliche Helden eben. Jeder für sich auf eigene Art und Weise. Ich denke immer noch sehr, sehr gerne daran zurück, an "unsere" Zeit. Wir haben wirklich unglaublich viel voneinander lernen dürfen. 

Jetzt sollte es Zeit sein, die Früchte aus dieser und der nachfolgenden Zeit, die fortan jeder allein bzw. in Partnerschaften gehen musste, zu ernten. Dazu ist Vergebung unabdingbar. Daher: was immer auch noch zwischen uns stehen sollte, es wäre Zeit den blauen Elefanten endlich zu entlarven und ein für alle Mal vom Hof zu jagen. 

Übrigens kann ich hierzu noch eine schöne Brücke für uns bauen. Sie trägt den ebenso schönen Namen XXXXXX. Sie könnte gut vermitteln. Mich liebt sie; Dich mag sie, schätzt Dich, für mich völlig unverständlich zwar - wie sich leicht denken lässt :) - über (gerechtfertigte) Maßen. Ich glaube, dies beruht auf Gegenseitigkeit (die Grüße, die Du, gerichtet an sie, absonderst, sprechen Bände!) Ihr besitzt vielleicht ein Band, das Euch mehr verbindet als mich und Dich und sie und mich. Wenn ich diesem "Band" einen Namen geben dürfte, würde dieser vielleicht lauten: Ähnliche Wahrnehmungstendenzen. Sie versteht Deine Anmerkungen auf meine Texte allzu gut. Meine übertriebene, Euch vermeinend irritierende "Hofärtigkeit", die wohl meinem persönlichen blinden Fleck geschuldet sein muss, den ihr beide schicklich in den Blick zu nehmen wisst. So soll es durchaus sein. 

An dieser Stelle endet für heute meine Dissoziation, leitet aber unverzagt über zur Kardinalfrage: Wo bitte, lieber XXXXX wo bitte, liebe XXXXXX, befinden sich denn Eure blinden Flecke? Scheinen sie mir doch wohl vertraut! Und ich liebe genau sie, diese Euch einmalig Authentizität verleihenden Ecken und Kanten, weit mehr noch, das darf ich hoffentlich so sagen, als alles weitere an Euch. Glaubt's mir. Glaubt's mir nicht. 

"Hast du die Rolle angenommen, die er dir zugewiesen hat???!!" Ja, habe ich. Und erstaunt ist er wieder und wieder, mit welcher Freiheit und Chuzpe ich sie zu interpretieren imstande bin! Er kann sich daran sichtlich erfreuen. So ist der Same seines bisweilen kruden Erziehungsstils irgendwie doch noch aufgegangen: aufgegangen in eine Blüte, auf die er wohlwollend zu blicken begonnen hat. Abrechnung einfordern, "Klartext mit dem Alten (zu) reden", darauf können und wollen mein Vater und ich niemals hinaus und bleiben lieber dahinter zurück, oft schmunzelnd, bisweilen sogar mitfühlend ! Als ewiges Spiel von Nähe und Distanz. 

Zuletzt noch. Sicherlich hätte ich mir gewünscht, dass Du meinen Blog mit anderen Augen hättest lesen wollen. Dich nicht nur an Stilfragen störend, sondern inhaltlich bezugnehmend. Ich hatte es bereits im Vorfeld befürchtet: es würde mit meiner Art zu schreiben und vor dem Hintergrund früherer Ereignisse ganz sicher misslingen! Dennoch verfolge ich weiterhin ein Ziel; und suche weit mehr als nur schnöde Anerkennung. Vielleicht wirst Du mir künftig doch einmal in kritischer Form helfen wollen können. Es wäre mir eine übergroße Freude! Am liebsten unter Anwesenheit von vertrautem "Axel" :) 

Das letzte Wort dieses Blogs gehört in freier Interpretation abermals Kohelet: "alles menschliche Bemühen ist nichts als Windhauch." Vor allem Deines, lieber Georg, ließe sich süffisant hinzudenken...

Alles Liebe 
Georg

P. S. 
Einer meiner nächsten Blogs könnte den schönen Namen tragen: Ehrlicher Streit. Beginn eines fruchtbaren Dialogs

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