300 - Der Mythos

Von meinem Sohn wurde ich dazu ermuntert, den Film 300 anzusehen, verbunden mit einer sanften Warnung, dass es dort recht gewalttätig zuginge, die spezielle Ästhetik des Films aber doch sehenswert sei, so dass sich der Aufwand lohne.

Was war zu erwarten? Die Erzählung vom Widerstand einer (guten) in allen Mitteln unterlegenen Gemeinschaft dem (bösen) übermächtigen Feind gegenüber? Unterlegen in allen Aspekten? Nein, Herz, Verstand und Mut, gar Heldenmut bricht stets Übermacht. In diesem Fall das Volk aus Sparta, das im hellenistischen Bund dem Eroberungsfeldzug des Xerxes im Jahr 480 AC, mit ihrem König Leonidas I. an der Spitze, an den Thermophylen heldenhaften Widerstand bis zur eigenen Vernichtung getrotzt hatte. 300 gegen ein ganzes Heer. 

Eine Geschichte voller Ideale, Heldenmut und Stolz. Unerbittlicher Widerstand, das Ausagieren der Leidenschaften im Blutrausch, Kampf um des Kampfes Willen. Nicht Worte mit dem Bemühen um Verständigung stehen am Beginn der Geschichte, sondern das Durchsetzen eigener Idealisierung und sei es um den Preis des eigenen Todes; war das nicht eine unwürdige, der Sache nicht angemessene, weil vereinfachende Stilisierung eines weitestgehend selbstverachtenden Heldenmuts zum Vorbild für kommende Generationen? Ein Mythos, den es aber sehr wohl in Erzählungen so häufig gibt.

So weit der nüchterne, äußere Rahmen der Erzählung, wie er in 300 inszeniert wird. Dennoch kann die Verherrlichung der Gewalt, der Blutrausch, die Orgie im Wüten und Wühlen geköpfter und umherfliegender Leiber, die in 300 schließlich zu einem riesigen Wall des Schreckens aufgetürmt werden, als Mahnmal gegen einen gesichtslosen Feind, den Betrachter nicht unberührt lassen.

Aber was will hier eigentlich gezeigt werden? Welche Botschaft, welche Zeichen sollen vermittelt werden? Was hat es mit dem Wüten auf sich? Welcher Sinn ließe sich dahinter vermuten?

Vermutlich sollen zwei Welten gegenübergestellt werden. Die eine, eine lichte, mutige, selbstlose, gerechte und erlösende Kulturform, aus gut gebauten, muskulösen Gestalten ohne jeden Makel, in Treue miteinander verschworen, die sich in einem pseudoheiligen Bund als Opfer zur Durchsetzung eigener Idealisierung darbringen. Eine Zukunft im Sein glänzender Schönheit, ewiger Jugend, die niemals sterben wird, weil sie bereit sein wird, sich selbst ihrem Ideal zu opfern.

Die andere Welt, wirkt düster, seelenlos; entfremdet, finstere Machte, wie aus dem Gedärm menschlicher Zivilisation herausquellend, alles in Gestank bettend, schwärend und unheilvoll, personifiziert in der perversen, tätowierten und schmuckbehangenen, abgründigen Figur eines riesenhaften Xerxes, gleichgültig seinem Fußvolk aus abertausenden, versklavten Söldnerfiguren gegenüber, die er tausendfach in den sinnlosen Tod treibt, von den spartanischen Helden, geköpft, durchbohrt, dahingeschlachtet. Eine Art Schlachtfest des obszön "Bösen".

Diese radikale "Obszönität" des Bösen erkannte Hannah Arendt, als Beobachterin des Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1961, indem sie es als "Banalität des Bösen" bezeichnete. Dies trug ihr in der jüdischen Welt heftige Gegenwehr zu, so dass sie in einem Brief an ihren langjährigen Freund Gerson Scholem 1963 diese Aussage korrigieren musste: "Ich bin in der Tat heute der Meinung, dass das Böse immer nur extrem ist, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe, auch keine Dämonie. Es kann die ganze Welt verwüsten, gerade weil es wie ein Pilz an der Oberfläche weiterwuchert. Tief aber, und radikal ist immer nur das Gute".

Auch der Betrachter von 300 muss sich fragen. Was und wer ist hier "gut" und was ist "böse". Die Antwort wird durch den Verlauf der erzählten Geschichte quasi vorgegeben. Und sie scheint banal. Jedoch, ganz so einfach ist es eben keineswegs.

So wartet man als Betrachter vergeblich, dass sich eine Ambivalenz auftut, dass sich die Geschichte auftut, um Figuren zu zeigen, die emotional "aufgebrochen", vom Schrecken des Schlachtens innerlich erschüttert werden.
Nie, nicht auch nur eine Sekunde lang, wird im Plot des Films angedeutet, dass sich hinter der glänzenden Fassade des Heldentums unsägliches Leid von Müttern und Vätern, Söhnen und Töchtern verbirgt, das sich um den Verlust ihrer Lieben ins Herz brennen wird. Das substantielle Schrecken jeder Kriegshandlung wird einfach ausgeblendet. Der Sohn Leonidas wird am Ende stolz sein auf seinen Vater, der sich im Dahinschlachten seiner namenlosen Gegner bewährt. Den Tod seines eigenen Vaters, den Schmerz seiner Mutter, wird er von der eigenen Gefühlslage abkoppeln müssen, um selbst einmal, als strahlender Held, das Schlachtfeld betreten zu können.

Uns so verwundert es nicht, dass dem Film von der Kritik faschistoide Tendenzen attestiert werden. Der Plot, die Bilder sind durch und durch faschistisch. Nur ein Held hat es sich verdient zu überleben. So ist die Botschaft. Es muss das gemeine Leben nicht leben, er muss lediglich bereit sein, sein Leben zu opfern.

Dennoch wäre es falsch, den Film grundsätzlich zu verdammen. Das Gedankengut, das 300 in machtvollen Bildern aufbereitet, ist Teil unserer Gesellschaft. Und wird es, gut möglich, auch immer bleiben. Steht es doch für die innere Sehnsucht aller Menschen, dem eigenen Leben, selbstbestimmt Sinn zu verleihen. Aus der Masse herauszuragen und als aufrechter Mensch wahrgenommen zu werden. Mühsam war dieses Bedürfnis kulturell in den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg unterdrückt, von einer gesellschaftlich-übergeordneten Vernunft vereinnahmt und drängt deshalb aktuell zurück an die Oberfläche, um mit Hannah Arendt zu sprechen. Kann man also vor diesem Hintergrund die Bilder des Films nicht ebenso als Mahnmal gegen den Terror des Schreckens, wie zum Beispiel Yad Vashem und andere Mahnmale, interpretieren? Ja, sofern die Doppelbödigkeit all unseres Handelns, die stets beide Aspekte von Gut und Böse beinhaltet. Zeigt nicht 300 in einer "harmlosen" Fiktion, die zudem ja als eine Art Comic aufbereitet ist, was die Idealisierung von blankem Heldentum in der Essenz bedeutet? Ist nicht die Darstellung so eindeutig, dass sich jeder Zuschauer geradezu verpflichtet sieht, dem Schrecken - auf beiden Seiten wohlgemerkt - ins Auge zu sehen um zu erkennen, wie verwerflich er in jeglicher Eindeutigkeit doch ist.

Jenseits aller räsonierenden Pädagogik, sollten wir es dem Zielpublikum, der Jugend, zutrauen, in der Reflexion die richtigen Schlüsse zu ziehen, nämlich dass Heldentum als Kunstform essentiell bedeutsam ist, in der Reinform jedoch nichts als Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit bedienen will.

Was aber vermag uns die Kunstform, der mythische Gehalt des Geschehens, wirklich zu erzählen?

Der Ursprung gemeinschaftlicher Staatenbildung und dessen (notwendige) Begrenzung

Staatliche Gemeinschaft wird geboren und getragen aus gemeinsamer Geschichte, qua Abstimmung und sinnstiftender Narrative, die bewahrt, wiedererzählt und gelebt werden müssen. Diese verbindendende, Gemeinsinn stiftende Geschichte wird dabei über die Jahre zu Mythen durch Verklärung; sie stehen in der Mitte jeder Gemeinschaft. Die Ausformulierung des Gebots "Schma Jisrael - Höre Israel" im Judentum, der Widerstand der Spartiaden im Altertum etwa zu gleicher Zeit, das Rolandslied im Mittelalter, der "Finger Gottes" in der Ranaissance, wie die Schoah der Neuzeit, um nur einige zu nennen. Waren die ersten drei noch Ursprungsmythen sich in der Folge konstituierender Gemeinschaften staatlichen Rechtwesens zur Abwehr äußerer (und innerer) Feinde, steht seit der Renaissance globales Denken allumfassender Vernunft und überstaatlicher Rechtsordnung im Vordergrund. Der Stachel menschlich-individueller Vernunftsgrenzen und Hybris des gesellschaft-konstitutiven Machtanspruchs wird zuletzt im überzeitlichen Mythos der Schoah abgebildet. 

Im Gründungsmythos des Judentums findet sich erstmals "im Reich Gottes" die Geschichte einer überstaatlichen Ordnung einen geistigen Höhepunkt, die mit der Charta der Vereinten Nationen einen realpolitisch-konstitutiven Höhepunkt findet, permanent bedroht von sich neu entfaltenden Mythen, situativ ausgerufen zur Bekämpfung noch nicht inkulturierter Vernunft in einem Gemeinwesen, wie es sich aktuell z.B. in Russland, China und der Türkei  beobachten lässt. Aber auch in neu aufbereiteten, althergebrachten Narrativen freiheitlich konstituierter Gesellschaften.

Das hinter jedem Mythos liegende Ideal wird zur über die Grenzen hinaus ausstrahlende Macht, die jede weitere Sinnstiftung zunächst okkupiert. Es lässt sich über die Jahrhunderte beobachten, dass "Gründungsmythos" in der Zeit an Kraft verlieren, andere Narrative an Bedeutung gewinnen und sich neue "Mythen" (im jüdischen Narrativ "ein neuer Bund") herauskristallisieren. Dies scheint durch Geschichte zu einem intrinsisch bedingten, unaufhörlichen Prozess zu werden. "Es darf keine andere Welt werden, aber es wird eine Welt sein , die, bis zu einem gewissen Grad, anders wird".

Nun stellt sich die Frage, ob ein Prinzip einem anderen Prinzip, eine Idee einer anderen Idee weichen muss, damit sich ein neues Narrativ einstellen kann? Ja und Nein; das eine muss dem anderen weichen, bleibt aber als Prinzip und Idee stets enthalten. Dieses Paradoxon tut sich auf, wenn man die Geschichtlichkeit von Prozessen annimmt und nicht ausschließt! 

Vom Heldenmut der 300 bräuchte es mehr, jedoch nur dann, wenn es die Verbindung zur intrinsischen Hybris aufmerksam zu bewahren vermag. Nicht weniger, mehr lautet das Gebot dazu. Der Held allein wird tragisch scheitern. Sein heldenhaften Opfer bringt unsäglichen Leid hervor. Bei den Nächsten, bei seinen Nachfahren, an der dritten und vierten Generation noch, wie es in 5 Mose 5,9 heißt. 

Hugo von Hofmannsthal hat diese Zusammenhänge in seinem Stück "Der Turm" großartig bearbeitet und auf die Bühne gebracht.

Reclam-Verlag S. 47 ff

"Es ist ein Krieg verloren worden. Eitel war der Krieg, unzeitig war der Krieg, frech und freventlich war der Krieg. Und als er verloren war, da ist der vom Ratstisch gejagt worden, der seine Hände aufgehoben hatte und geschrien wider diesen Krieg. - Denn es bedurfte der Selbstbezwingung, so war dieser Krieg zu vermeiden, - und der Weisheit: und hart ist der Pfad der Weisheit zu treten, denn er ist voller Dornen. Aber leicht war es, das Eitle zu tun, und zu reiten anstatt zu raten (....) Es steht geschrieben: der verdorbene Mensch liebt nicht den, der ihn strafet. Das Wort eitel, merke, hat zweierlei Sinn. Einmal heißt es: prahlen vor sich selber, Zuschauer sein sich selber, geistige Buhlerei treiben mit sich selber. Zum zweiten heißt es: nichtig, für nichts, im Mutterleib verloren. — Eitel war dein Gedachtes, dein Getanes, dein Gezeugtes, von dir selber im Mutterleib vereitelt (...) Wo war deine Menschheit, die sıch hätte verbinden können mit der meinigen? Denn ein Mensch fängt dort an, , wo ein viehisch gelüstender Leib überwältigt ıst und unter die Füße gebracht von Wesenheit. Das war nicht deine Sache. Dein Wollen sitzt unter dem Nabel und dein Unvermögen in der Herzgrube; unter deinen Haaren war die Bosheit und der stinkende Hochmut ist dir durch die Nase gegangen: so warst du ein Leib und hast gewuchert mit deinem Leib und an deinem Leib wirst du gepackt werden. Du hast ins Fruchtfleisch gebissen, das duftend war und weich, jetzt aber beißest du in Holz: dazu ist die Stunde gekommen."

Vor diesem Hintergrund kann auch der Genuss an der nicht uneitlen, heldenhaften Ästhetik von 300 einem Entsetzen weichen, sofern nicht die Ästhetik des wenig heldenhaften, wenig eitlen aber ebenso leidenschaftlichen, und weit klügeren Vernunft des vermittelnden Dialogs "mitgesehen" wird. Der Ruf "Höre Israel" schafft Heldenmut, der ins Leben führen und nicht im Preis des Todes für alle Zeiten endet. 

"Nicht notwendig ist des Helden Tod, immer allerdings tut es Not ein Held zu sein."

 





Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hochzeit Max&Nadine

Der Schleier des Nichtwissens; Bob Dylans lyrische Prophetie (i.p.)

Der Teufel fährt aus frauJEDERmann - und ist doch noch nur eine vage Idee vom Geschehen...