Musik und Sprache, Sprache und Musik

Liebe XXXXXXX,

man muss Dir gratulieren zu einem großen Wurf. XXXXXX und fast alle im Team sind begeistert! Überschütten uns und unsere Bearbeitung geradezu mit Lobeshymnen. Wie zuvor meine Bearbeitung! Endlich können wir die Arbeit mit und am Text beenden, sind im Hier und Jetzt angekommen. Die Wertschätzung, sogar der Dank des Publikums scheint uns jetzt schon gewiss! Wir haben geliefert.

Ich allerdings muss zugeben, nicht ganz so begeistert zu sein. Ich bin jemand, der dort, wo Lob überschießt, Übles sogleich vermutet. "Die Sache ist recht schön und klar, und in der Suppe doch ein Haar!" vergiftete vor kurzem eine "Teufelin", verkleidet als Teufel, den Spaß vom "Sauberwaschen" Jedermanns. Was dort bei unserer frauJEDERmann noch recht unschuldig daherkam, droht hier allzu offensichtlich zum Programm zu werden. Das große Aufräumen hat begonnen.

"Fotze", "Fuck", "Universum", "Perpetuum mobile", diese unschönen, andererseits für eine Theatersprache ungelenken Wortkreationen, sollen uns von nun an den Weg weisen? Ich darf mich wundern und musste mir erst einmal die Augen reiben. Bricht jetzt endgültig das durch, was von Beginn an zu befürchten war; die Skandalisierung der Figuren wird wie im öffentlichen Leben zum "Kunstgriff" erhoben, die den Adressaten mundtot machen soll um den Profiteur des Skandals die (allein richtige!) Stimme zu verleihen? Ein allzu offensichtlicher Trick, daher auch, ja, etwas banal. Wenn wir die einzig wirkliche "Bezugsgröße", nämlich die kritische Haltung von Hofmannsthal dazu ins Verhältnis setzen, und das sollten wir unbedingt, dann sind wir aufgrund der Topographie der Bühne, auf dem das Stück zur Aufführung kommen soll,  verpflichtet neu zu denken. Neu zu "akkordieren", um Dich mit diesem so wohlklingenden Wort zu zitieren. "Unsere Herzen verschränken"...hmmm! Was bei Hofmannsthal noch als entlarvende Groteske daherkommen darf, droht hier, Feuer auf's Öl gießend, zum Brandbeschleuniger zu werden!

Aus dem Briefverkehr zwischen Strauss und Hofmannsthal wissen wir - wir lassen Hofmannsthal selbst damit zu Wort kommen! -, dass niemand mit den Fingern auf den Ochs zeigen muss; in seinem Spiel wird er sich mit ganzer Hingabe selbst entlarven! Dieses kunstvolle Stilelement Hofmannsthals zu brechen, exakt dort wo es zum Prinzip erhoben wurde, wäre so etwas wie - verzeih die unschöne, aber wohl zutreffende Metapher - "Schändung". In Sichtweite seines Grabes!

Hofmannsthal würde sich vermutlich wundern, und wir sollten das mit ihm. Müssen wir (abgeschmackte) "Worthülsen", die unsere Alltagsprache ohnehin zu überschwemmen drohen, hilflos einsetzen, nur um Wirkung zu erzielen?! Statt die feine Klinge zu führen; wollen wir wirklich den Dampfhammer nutzen? Ganz ohne  Not?

Als XXXXXX, der sich (endlich!) autorisiert sah, deftigste Ausdrücke in seiner Rolle als Regisseur von der Bühne ins Publikum zu schleudern, freimütig bekannte, Originalzitat: "Jetzt fühl ich mich GLEICH zuhaus'!", da wusst' ich's. Wo aus einer reichen Sprache, die umschreibt, umschmeichelt, schärfsten Ausdrücken und Zusammenhängen noch etwas Melodisches einhauchen kann, der mit Sprachrhythmen dem verruchten Blick ein wenig Würde verleihen kann, schließlich gnädig menschliche Abgründe auffangen hilft, - all dieses Künstlerische verfliegt; droht banale Alltagssprache zu entstehen, die nicht die Sinne, sondern den Instinkt sucht. Das unscharf Schimmernde in Zwanghaft nimmt und dem Zauber auf der Bühne den Garaus macht!

Liebe XXXXXXX, ich befürchte  meine Worte könnten als harsche, sehr "weiße" Worte verstanden werden. Dich treffen, Dich kränken, Dich verunsichern. Aber Hand aufs Herz: Du hast bei der Vorstellung Deiner Textarbeit sehr berührend geschildert, wie Deine Hände beim Eingeben von "Fotze' förmlich zitterten. Warum tust Du es Dir dann an? Ich kann das wirklich nicht verstehen; hilf mir bitte! Die Frau in Dir; wird sie sich nicht selbst bestrafen mit solch deftigem Wort? Wem wird damit gedient? Wer ist der Adressat? Sollten wir, MÜSSEN wir nicht als Kunstschaffende unser Publikum schützen vor einer unschönen, degoutanten Sprachte in diesen Worten? 

Ich darf zugeben, mich hat Dein Vorgehen irritiert. Du hast mich alten "Ochsen" am Text "ohne Deckung" abarbeiten lassen, hast Dich währenddessen fein zurück gehalten, dann aber, als der Text endlich vom Groben zur Verfeinerung schreiten wollte, aus "Deiner" Bearbeitung ein "Geheimnis" machen wollen, und ich ihn uns im Team als weitgehend fertiges Produkt schließlich präsentiert. Unser mitfühlendes, verständnisvolles "Abnicken" in Erwartung? 

Ich war zu überrascht, zu perplex, um sogleich passende Worte zu finden. Zu deftig, zu zielbewusst Deine Bearbeitung: MeToo, MeToo, MeToo.

Schließlich hast Du den Sinn "meines" Epilogs ad absurdum zu führen verstanden. Meine Version lautete einmal:

"Das Leben, die Liebe ist einzig', den Weg' jetzt, den weiß ich!"

Die Erfahrungen, die ich beim ersten Vorsprechen im Dezember und jetzt beim Textlesen deiner Prägung machen durfte, sind in diesen Sätzen bereits vorgezeichnet! Im Widerstand des "Du", im Wort des "Du" (das Leben, die Liebe) erfährt man sich erst wirklich selbst. Tavia versteht, weil sie diesen Prozess der Läuterung am eigenem Leib mitgegangen ist, ihren weiteren Weg, den sie gehen wird. Folgerichtig kann sie sinnieren: den Weg JETZT, den weiß ich!?

Nun heißt es dort plötzlich:

"Jetzt also: Leben und Lieben!
Und wagen… ICH und mir treu zu sein."  

ICH, ICH, ICH! Treue zu sich selbst? Himmel! Gläubig ans Universum?

Liebe XXXXXXX, ich fand den Ansatz Deines Prologs brilliant. An den Worten dort, am Sprachduktus, an der Rhythmik, ließe sich trefflich streiten. So wie an den meisten Stellen im Text, der NICHT von Hofmannsthal autorisiert ist. Es gäbe viele Stellen, die noch zu verhandeln wären. Seit Mitte Dezember war der Dialog diesbezüglich eröffnet. Und wurde jetzt, für mich aus verdunkeltem Himmel, als Monolog vom Regieteam abgesegnet.

Ein weiteres Beispiel, ein letzter Einwand, eine wunderbare Textstelle, exemplarisch für Vieles, bevor ich meine Klage einstelle:

Bei Hofmannsthal heißt es, schwungvoll ausgewogen, einführend und ausleitend, in einer überaus musikalischen Sprache, die selbst, wenn man sie in ihrer Tiefe nicht sofort versteht, in ganzer Tiefe auf's Gemüt wirkt, in feinsinniger Weise:

"Heut oder morgen oder den übernächsten Tag. Hab' ich mir's denn nicht vorgesagt? Das alles kommt halt über jede Frau. Hab' ich's denn nicht gewusst? Hab` ich nicht ein Gelübde tan, dass ich's mit einem ganz gefassten Herzen ertragen werd' . . . Heut oder morgen oder den übernächsten Tag."

Jetzt steht bei uns:

"Was für ein Tag!
Und mehr als das – DER Tag. Hab' ich’s mir nicht grad erst gedacht?
Da steht sie. In diesem jugendlichen Zorn.
Und spür ich nicht, dass alles so kommen musste?"

Es geht. Es holpert. Es spannt der Zorn, statt das Musik erklingt!

Ich wünschte uns allen noch ein wenig mehr, viel mehr Zeit. Theater im Nebenberuf wirkt schwer. Hofmannsthal brachte Fülle an Zeit ein. Damals, als es Zeit noch gab. Als Verschwendung von Zeit noch hoffähig war. Drama UNSERER Zeit ist, NICHT mehr über Zeit zu verfügen, anders als in jener "Welt von gestern".

Hofmannsthal hatte Zeit...und dichtete.

Liebe Grüße
Georg

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hochzeit Max&Nadine

Der Schleier des Nichtwissens; Bob Dylans lyrische Prophetie (i.p.)

Der Teufel fährt aus frauJEDERmann - und ist doch noch nur eine vage Idee vom Geschehen...