Zeit und Ziel vom Rosenkavalier Rodauns

Das Gefühl vom Vergehen der Zeit ist von Alters her verknüpft mit der Verschriftlichung von Sprache. Die Aufzeichnung des gesprochenen Wortes lässt Geschichte, zeitaktuell im Hinblick auf Vergangenes und versehen mit vielerlei Fragestellungen, erfahrbar machen. Gegossen in Literatur wird sie zum kulturellen Vermächtnis. Zugang zum Vergehen der Zeit könnte uns ein "weit hinaus blickendes" Theaterstück, neu inszeniert und in plausibler Aufführung, verschaffen. In ihm erhielte Geschichte Kontur und brächte gar ein wenig Licht in die uns vorauseilende Zukunft. So wäre die Hoffnung.

Die weitreichend "unbedingte", daher flau dahinfließende Not unserer Zeit, erhielte in geschichtlicher Anmutung etwas mehr an "Dinglichkeit", und somit Zugriff in der Gestaltung von Gegenwart. Mit einem Blick, ausgehend von der Not unserer Zeit, hinein in die Vergangenheit gewönnen wir einen hoffnungsvollen Ausblick in unsere Zukunft. Kein Zeitalter zuvor hat bewirkt, dass uns die Welt abhanden gekommen wäre, also: Warum sollte dies nun in Zukunft geschehen? Mit Blick auf die Katastrophen und Verirrungen der letzten 6.000 Jahre aufgezeichneter Kultur, lässt sich mit, aber auch ohne Unbehagen eine 6.000jährige Zukunft voller Katastrophen und Verirrungen extrapolieren. Ein Untergang der Welt wäre weit unwahrscheinlicher. Wir und unsere Kinder werden weiterleben, mit dem Zusatz, dass wir Geschichte nicht (allein) mit individuellem Schicksal verknüpften und unnötig engführen müssten.

Genug der langen Vorrede. Was hat das mit unserer Inszenierung des Rosenkavaliers zu tun? Sehr viel! Mit der Sicherheit, dass der Rückblick in die Zeit, gleichsam mit einem Vorgriff auf die künftige Zeit einhergehen wird - somit schon in der Gegenwart lebendig wird, wohlgemerkt -, dann "begreift" das Original Hofmannsthals einen Zeithorizont von ca. 6 Jahrhunderten, während unsere Bearbeitung diesen Horizont erweitert zu ihrem Ansgangspunkt! Denn unser Prolog verlegt den Ursprung noch vor den Beginn aller Zeit menschlicher Reflexion. Noch vor das jeher gesprochene erste Wort. "Mach deine Seele nackt!" heißt es harsch vom Regiepult, "Zeig Dich (ganz)...Ich will DICH sehen. Mach Dich verwundbar. Unschuldig und bereit." Was für eine Anmaßung! Welch unheilvolle Machtbefugnis wird hier von uns ins Wort gesetzt! SOLINA soll sich als selbstbestimmtes ICH völlig entblößen? Vor der Kamera und somit vor aller Öffentlichkeit? Hier wird der Pakt mit dem Teufel geschmiedet. Was dem Ziel dient, darf nicht mehr hinterfragt werden! Ungeheuer! Und entzieht sich dennoch geschickt der Reflexion. Die Kamera will sehen; also muss sich das Davor entbößen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. 

Der Spannungsbogen ist in Szene gesetzt, das Spiel nimmt seinen Verlauf, nimmt sich zurück, erhöht die Dynamik, setzt geschickt Pausen, bespielt vielerlei Räume. Das Geschehen läuft dem logischen Höhepunkt einer Komödie entgegen: nicht DAS oder DIE Opfer, sondern DER Täter entlarvt sich selbst, darf dem öffentlichen Tribunal gnädig entkommen. Mit dem Ende des Stückes entsteht sein Neubeginn. Das archaische Spiel von Verführung, Macht, Ohnmacht und Erkenntnis nimmt seinen nächsten Anlauf im Beginn einer noch unschuldigen, aber schon bald wieder korrumpierbaren, jungen Liebe. Sie wird ausweglos, seiner ursprünglichen Idee von Jugend abtrünnig; allein schon indem sie selbst einmal gealtert sein wird.

All diese Erkenntnis wird spielerisch im Epilog . Der Wortschöpfer in Gestalt HOFMANNSTHALS betritt die Szenerie, und blickt prophetisch seinem Schaffen ins Auge, TAVIA stimmt nach kurzem Bedenken ein, übernimmt, erkennt die Zeitlosigkeit junger Liebe, weiß aber um den Moment, den sie als eine Art tanzender Derwisch, sich wild im Kreise drehend, coram publikum feiert. Auch ihr winkt das Schicksal. Wird es ihr gnädig sein? 

Das Taschentuch, eine Metapher für Zeit und verlorene Unschuld sollte ihr jedenfalls beim Tanz noch einmal entfallen. Oder sie wirft es voller Hoffnung von sich, geht rasch ab, während der Schlussakkord des Stückes im hell erleuchteten weißen Taschentuch noch einen Moment lang verklingt. 

"Das Leben, die Liebe ist einzig', 
den Weg' jetzt, den weiß ich!"

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